«Kommt endlich wieder etwas wie ‚Sex and the City‘?» Auf diese Frage einer Zuschauerin bot die jüngste Maifahrt der Serien-Einkäufer aus aller Welt nach Los Angeles die erfreuliche Antwort: zum Glück nicht!
Allzu häufig waren die neuen Serien, die Disney, Universal und die anderen Studios jeweils anlässlich der «L.A. Screenings» vorgestellt haben, Abklatsche alter Hits. So beschaute der neugierige Redaktor jeweils Serie um Serie, in der erfolgreiche Freundinnen sich über ihr Sexleben austauschten, verzweifelte Hausfrauen Intrigen konterten und sah jungen Medizinern zu, wie sie Leben retteten und Herzen brachen. Dieses Jahr jedoch: kaum Ärzte, wenig Glamour.
Die rund fünfzig besehenen Pilotfilme boten gleichwohl reiche Beute. Dies sind die Trends und die Highlights in Kürze:
Superhelden
Längst hat das Fernsehen das Kino mit dessen Mitteln geschlagen. Die raffiniertesten Geschichten, die attraktivsten Stars und das unverzichtbare Spektakel spielen sich auch auf der Mattscheibe ab – und es verwundert nicht, dass der Siegeszug maskierter Comic-Helden vom Kino ins Wohnzimmer geführt führt.
Einen Hit dürfte der Sender «Fox» mit «Gotham» feiern, einer aufwändigen «Smallville»-Variante im «Batman»-Universum um die frühen Dienstjahre des späteren Polizeichefs von Gotham City. Dabei kreuzt James Gordon (Ben McKenzie aus «Southland») die Wege all jener Schurken, die Jahre später Batman das Leben schwer machen werden.
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Auch die Superheldenserie, die auf NBC zu sehen sein wird, hat einen Vorläufer auf der Kinoleinwand: In «Constantine» tritt der Waliser Matt Ryan («Criminal Minds») als Dämonenjäger in die Fussstapfen von Keanu Reeves. Allenfalls noch bekannt in unseren Breitengraden ist der übermenschlich schnelle Verbrecherjäger in der Serie «The Flash», mit dem der jugendliche Sender «The CW» seinen Erfolg mit der Serie «Arrow» zu wiederholen hofft.
Disney dreht mit «Agent Carter» eine eigene Serie um die Freundin von Kinoheld «Captain America». Die Agentin Peggy Carter, im Fernsehen leider nicht von Hayley Atwell verkörpert, ist nur eine von auffällig vielen starken Frauenrollen in den neuen Serienpiloten.
Superfrauen
Immer häufiger sind es Frauen, die als Ermittlerinnen ihren Scharfsinn unter Beweis stellen. Debra Messing in «The Mysteries of Laura» sogar in Columbos Trenchcoat. Patricia Arquette recherchiert im neusten CSI-Ableger («CSI: Cyber») im Netz, und Juliette Lewis verdächtigt im US-Remake der australischen Serie «Secrets & Lies» Ryan Phillippe des Kindermordes.
Ob Richterin (Kate Walsh in «Bad Judge»), Astronautin (Halle Berry in «Extant»), US-Aussenministerin (Téa Leoni in «Madam Secretary»), Elitesoldatin (Anna Friel in «Odyssey»), NASA-Ingenieurin (Krysten Ritter in «Mission Control»), Staranwältin (Eliza Coupe in «Benched») oder Strafrechtsprofessorin (Viola Davis in der neuen Serie von «Grey’s Anatomy»-Macherin Shonda Rhimes, «How to Get Away with Murder») – die besten Jobs sind mit Frauen besetzt und diese starken Rollen mit hochkarätigen Darstellerinnen. Bemerkenswert ist dieses Rollenbild auch deswegen, weil es von der Pointe zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Kein Aufreger mehr scheinen auch moderne Familienformen zu sein. Wo sich vor kurzem noch schwule Väter um den Platz an der Krippe stritten, wird heuer gerade mal eine einzige Lesbe schwanger (in der von Ellen DeGeneres produzierten Sitcom «One Big Happy» mit Elisha Cuthbert). Noch nicht niedergeschlagen hat sich die Gender-Diskussion: Die erste Sitcom über die 56 Möglichkeiten, auf Facebook das eigene Geschlecht anzugeben, darf für nächstes Jahr erwartet werden. Und die dürfte dann richtig frech werden, wenn sich der Trend zu dreisteren Gags in halbstündigen Komödien fortsetzt.
Superfrech
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Weniger Beisshemmung zeigen dieses Jahr auch Sitcoms, die mit Rassenklischees spielen. Das verkrampfte Miteinander zwischen Schwarz und Weiss nimmt Kelsey Grammers Anwaltskomödie «The Partnership» mit Martin Lawrence auf die Schippe sowie die Familiensitcom «Black-ish», die als moderne «Bill Cosby Show» verkauft wird.
In «Cristela» versucht eine schlagfertige Latina dem Schicksal eines Immigrantenjobs zu entgehen, Latino-Star George Lopez macht sich mit seiner neuen Culture-Clash-Komödie «Saint George» Hoffnung auf eine vorzeitige Zusage für hundert Folgen. «Fresh Off the Boat» schildert die Anpassungsschwierigkeiten der Familie eines taiwanesischen Kochs, der ein US-Steakhouse übernimmt.
Superserien
Natürlich haben die Studios auch dieses Jahr für das ganz grosse Publikum der Network-Sender Sehenswertes produziert. Doch die Serien, die am besten im Gedächtnis haften bleiben, hat auch dieses Jahr das Pay-TV zu bieten. Die drei Klassenbesten dieses Jahres:
- «The Leftovers»: Die Romanvorlage von Tom Perrotta («Little Children») erzählt vom Versuch, das traumatisierende Ereignis zu verkraften, dass ein Teil der Bevölkerung plötzlich spurlos vom Erdboden verschwindet. Das Mystery-Drama mit Justin Theroux, Amy Brenneman, Christopher Eccleston und Liv Tyler fesselt und verstört vom grandiosen Auftakt an mit den erstaunlichsten Szenen der gesamten Screeningwoche.
- «The Knick»: Für die HBO-Tochter «Cinemax» hat Steven Soderbergh einen Zehnteiler um die Anfänge zeitgenössischer Chirurgie im New Yorker Knickerbocker-Spital gedreht. Clive Owen spielt den Wegbereiter Dr. John W. Thackery mit beeindruckendem Schnauzbart und grimmigem Furor. Wer bei «Emergency Room» zwischendurch wegschauen musste, bewältigt dieses blutige Gemetzel nicht ohne Riechsalz.
- «The Affair»: Der Ferienflirt eines Familienvaters (Dominic West aus «The Wire») mit einer Kellnerin (Ruth Wilson aus «Luther») offenbart aus verschiedenen Erzählperspektiven immer neue Abgründe. Die neue Serie des Israeli Hagai Levi, dem Autor, Produzenten und Regisseur von «In Treatment», verspricht intelligente, psychologisch fundierte und elegant inszenierte Unterhaltung.
Ob eine dieser drei Serien den Weg ins Programm von SRF findet, ist noch offen. Bei den Produktionen fürs US-Pay-TV ist ungewiss, welche überhaupt zu akzeptablen Konditionen zur Verfügung stehen. Und bei den Serien für die Hauptsendezeit muss sich erst weisen, welche sich im umkämpften Programmangebot durchsetzen können und ob sie überhaupt eingedeutscht werden. Bis es soweit ist, trifft bald schon die Einladung für die L.A.-Screenings 2015 ein.