Woran denkt man als erstes bei dem Thema Körper im arabischen Film? «An Sex und Sexualität natürlich», sagt Fadi Abdelnur, der künstlerische Leiter des 5. Arabischen Filmfestivals «Alfilm» in Berlin. «Oder an verschleierte Frauen, die vielleicht auch noch von ihren Männern verhauen werden», fügt Programmleiterin Claudia Jubeh hinzu. «Solche Klischees wollten wir vermeiden.»
Der Körper reflektiert die Lage der Nation
Viele Filme in der Reihe «Spotlight» des Berliner Festivals überraschen daher damit, dass sie am menschlichen Körper auch drängende gesellschaftspolitische Fragen verhandeln. Zum Beispiel Behinderung und Lebensraum, Altwerden und Pubertät. Ein Vampirfilm aus dem Libanon reflektiert die Lage der Nation anhand eines Mannes, der sich langsam zum Vampir wandelt
Auf das Thema «Körper» verfielen die beiden Festivalmacher, weil sich in der arabischen Welt der Umgang mit Körperlichkeit im öffentlichen Raum durch die Revolutionen teilweise verändert hat. Nicht zuletzt durch das gemeinsame Demonstrieren von Männern und Frauen auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Oder die vielen Tanz-Flashmobs, die es überall in der arabischen Welt gab.
1958 und heute
Im Kurzfilm «Cairography» aus dem Jahr 2012 führt eine Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern in Kairo ein Bewegungsexperiment auf öffentlichen Plätzen durch – und löst damit massive Irritationen bei Passanten aus.
Ganz anders im Klassiker «Cairo Station» des ägyptischen Regisseurs Youssef Chahine. Im Film aus dem Jahr 1958 verkauft eine junge Frau auf dem Bahnsteig des Kairoer Hauptbahnhofs Limonade. Als eine Gruppe Musiker anfängt, swingenden Jazz zu spielen, tanzt sie unbefangen mit. «Während es 1958 offensichtlich akzeptabel war, einfach mal ein Tänzchen aufzuführen», erzählt Claudia Jubeh, «führt dies heute zu erheblichen Problemen.»
Credo der Demokratiebewegung
Die Filmkuratorin sieht in diesem Phänomen das Credo der Demokratiebewegung bestätigt, dass die Jahrzehnte der Mubarak-Herrschaft die Gesellschaft weit zurückgeworfen hätten. Das Thema «Körper im öffentlichen Raum» sei nach wie vor akut – nur unter anderen Vorzeichen.
Der Klassiker «Cairo Station», der in der Amtszeit des charismatischen sozialistischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser entstand, kritisiert vor allem die Klassenverhältnisse. «Unter welchen schlechten Bedingungen die Ärmeren leben müssen», erklärt Claudia Jubeh, «und welcher Raum ihnen gewährt wird – und damit, welchen Platz sie auch in der Gesellschaft einnehmen».
Individuelle Ausdrucksfreiheit
Bei «Cairography» von 2012 geht es um die individuelle Ausdrucksfreiheit und das Thema sexuelle Belästigung, die seit dem Umbruch in Ägypten stark zugenommen hat. «Für Frauen gilt der öffentliche Raum nur als Durchgangsraum», meint Festivalmacher Fadi Abdulnur, «sich länger dort aufzuhalten, ist nach wie vor ein Tabu.»