Ein abgelöschter Wirt, der durch ein behindertes Mädchen zurück ins Leben findet: Viele Jahre hat die als Schauspielerin bekannte Yolande Moreau («Séraphine») diesen persönlichen Stoff mit sich herum getragen.
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Ursprünglich habe sie sich die weibliche Hauptrolle auf den Leib geschrieben, sagt sie offenherzig, bis sie habe einsehen müssen, dass sie zu alt sei dafür. Yolande Moreau ist mittlerweile sechzig und macht kein Geheimnis daraus.
Die Figur der Aushilfsserviertochter und Heiminsassin Rosette wird nun gespielt von der normannischen Performancekünstlerin Candy Ming, die noch keine 25 Jahre alt ist. Den Part des Wirts und Taubenzüchters Henri spielt der mittlerweile über 50-jährige ligurische Bühnenkünstler Pippo Delbono.
Die beiden Figuren des Films trennen also rund dreissig Jahre und ein mentales Defizit – das sind heikle Voraussetzungen für eine Paarbeziehung.
Aufwachen aus der Einsamkeit
Der Ausgangspunkt der Geschichte war für Moreau allerdings nicht die Andersartigkeit der beiden Liebenden: «Mir ist aufgefallen, wieviele Menschen in meinem Bekanntenkreis mit 20 quicklebendig waren und mit 50 völlig ausgebrannt. Da bekam ich Lust, einen solchen Mann zu erfinden, um ihn dann aufzuwecken.» Dieses Aufwachen ist sinnbildlich auch ein Abheben, denn Rosette ist – so werden die Heimbewohner im Dorf genannt – ein «papillon blanc». Ein weisser Schmetterling also, der den leidenschaftlichen Taubenzüchter wachküsst.
Diese Vorstellung ist poetisch, und das scheue, gegenseitige Herantasten von Henri und Rosette ist auch wunderbar eingefangen, aber diese eine Idee macht natürlich noch keinen ganzen Spielfilm aus. Zusammen fahren die beiden an die Meeresküste. Sie findet das romantisch, er geniesst die Abwechslung. Tauben steigen in die Seeluft. Doch wie weiter? Kommt das gut mit diesem atypischen Paar? Schlafen sie miteinander? Bleiben sie zusammen?
Sex und Gesang
Yolande Moreau beantwortet diese Fragen nur zögerlich. Sie empfindet offensichtlich sehr viel für ihre Figuren, und tut sich schwer damit, deren Höhenflug zu beenden – was im letzten Drittel des Films für einige Längen sorgt.
Doch gelungen ist ihr ein höchst empfindsames, intimes Werk, in dem ein spannendes Nebeneinander von Unschuld und unterschwelliger Sexualität entsteht.
Auffällig ist etwa, dass sowohl Henri und seine Freunde als auch die Heiminsassen rund um Rosette zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt des Films ein – jeweils anderes – zotiges Lied anstimmen.
«Wir alle haben sexuelle Bedürfnisse», sagt Yolande Moreau dazu. «Wenn man zusammen so ein schweinisches Lied singt und dann laut darüber lacht, ist das eine Weise, das auszudrücken. Es mag vulgär sein, aber es ist befreiend.» Die Geschichte rund um Henri und Rosette ist derweil alles andere als vulgär – aber befreiend ist sie trotzdem.