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Clown, weiss geschminkt, mit irrem Blick.
Legende: Die ganze unterdrückte Gewalt, die verdrängten Erinnerungen an den Wahnsinn sollen raus: «Balada triste de trompeta». Xenix Films

Film & Serien Teufelsaustreibung mit Clowns: Spaniens Kino verarbeitet Traumata

Der spanische Bürgerkrieg löste in der ganzen Welt Schockwellen aus. Nach dem Sieg Francos wurde Stillschweigen verordnet. Bis heute tut sich Spanien schwer mit seinem Erbe. Im spanischen Kino der letzten Dekaden bleibt das Trauma spürbar. So auch in «Pans Labyrinth» und «Balada triste de trompeta».

In «Pans Labyrinth» (2008) erlebt die junge Ofelia das Ende des Bürgerkriegs hautnah mit. Angesichts der Bestialität der siegreichen Franquisten flüchtet sie sich in eine Märchenwelt voller Fabelwesen. Dem mexikanischen Regisseur Guillermo del Toro («Pacific Rim») bildet die aufgeladene Stimmung des spanischen Bürgerkriegs hierbei die pittoreske Kulisse für einen Fantasyplot, der universell angelegt ist und stellvertretend steht fürs Kinderleid zu Kriegszeiten.

Unbekümmert kreuzt del Toro die Bedeutungsebenen, bedient sich aus dem klassischen Legenden- und Märchenfundus und schafft einen eigenen, wunderschönen Hybrid. Der hat allerdings mit der jüngeren Geschichte Spaniens nur bedingt zu tun.

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«Balada triste de trompeta» («Mad Circus - Eine Ballade von Liebe und Tod»), Donnerstagnacht um 00:15 Uhr auf SRF 1.

Surreale Bilderwelten

Ganz anders «Balada triste de trompeta» (2010), für den der Baske Alejandro de la Iglesia 2010 in Venedig einen Silbernen Löwen erhielt. Während del Toro seine kindliche Hauptfigur in eine zwar verstörende, aber doch schützende Gegenwelt flüchten lässt, will de la Iglesia gerade dieses Sanctum in die Luft sprengen. Die ganze unterdrückte Gewalt, die verdrängten Erinnerungen an den Wahnsinn sollen raus.

Und so malt der Jesuitenzögling und ehemalige Schützling Pedro Almodovars – dieser produzierte 1993 de la Iglesias‘ Erstling «Acción mutante» – statt mit feinem Pinsel mit dem Vorschlaghammer.

Eben noch wurde gelacht, schon fallen Bomben

Wie alles zusammenhängt, Leben und Tod, Schönheit, das Hässliche, Politik, Komik und das Grauen, Religiöses, Profanes, Hass und Liebe zeigen eindrücklich die ersten zehn Minuten von «Balada triste de trompeta». Wie ins Poesiealbum getupft wirken die ersten Szenen, in welchen sich ein lustiger und ein trauriger Clown, zur Gaudi einer Kinderschar, gegenseitig auf den Deckel geben.

Dann wechselt die Tonlage. Man hört Bomben fallen und sieht, wie ein republikanischer Kommandant die Zirkusbühne betritt. Für ein letztes Aufgebot gegen die anstürmenden Franco-Truppen will er Zirkusartisten und Clowns zwangsverpflichten. Und weil der Militär keinen Widerspruch duldet, bricht die komische Truppe bald auf zum letzten Gefecht.

Noch vor dem Gemetzel setzt eine poppige Bildmontage ein, in der in zwei Minuten 40 Jahre spanische Geschichte resümiert werden. Bilder von weinenden Madonnen, die von Bosch gemalte Kreuzigung Jesus, der junge Franco sind zu sehen. Porträts von Priestern, Generälen, Frankensteins Monster, Flash Gordons Nemesis Imperator Ming. Fahndungsbilder von ETA-Terroristen kontrastieren mit Ikonen der spanischen Glamourindustrie und Werbung fürs Ferientraumland.

Verdrängtes kommt hoch

De la Iglesia: «Wenn ich als Kind am Abend TV schauen durfte, lief zuerst ‹Frankenstein›, dann die Nachrichten, dann ein Film der Marx Brothers. All diese Eindrücke habe ich ungefiltert aufgesaugt. Sie vermischten sich in meinem Kopf wie ein Milchshake. Lovestory, Komödie, Horror: Für mich ist das alles das Gleiche, verschiedene Perspektiven auf ein und dieselbe Sache.»

Weil der Regisseur seine albtraumhaften Erinnerungen an die Kindheit in Bilbao verarbeiten will, wechselt die Handlung danach in die 70er-Jahre. Javier (Carlos Areces), Sohn jenes lustigen Clowns, der für seinen Einsatz gegen Francos Truppen bitter bezahlen musste und später sein Leben unter den Hufen eines Pferdes liess, wird von einem maroden Zirkus als trauriger Bajazzo und damit Widerpart des lustigen Clowns Sergio (Antonio de la Torre) engagiert. Dabei ist Sergio ein gewalttätiger Egomane, der als Diktator über den Zirkus herrscht und seine Frau, die schöne Trapezkünstlerin Natalia (Carolina Bang), regelmässig verprügelt. Ausgerechnet in diese wird sich Javier verlieben, und nachdem Sergio einmal mehr zugeschlagen hat, reisst beim traurigen Clown der Faden. Die Erinnerungen ans Rachegelübde, an den sterbenden Vater, an Krieg und endlose Erniedrigungen kochen hoch. Der Überdruck mündet in einem Gewaltexzess, in dem zwei entfesselte Clowns im Kampf um die Frau eine blutige Spur der Verwüstung durch Francos Spanien ziehen.

Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben

De la Iglesias Exorzismus ist ein wahrer Bilderrausch. Grell, überschwänglich, unausgewogen, unfertig und gerade deshalb voller brachialer Poesie und Komik. Der Baske sieht sich selbst in der Tradition von Goya, Dalí oder Buñuel. Sie alle rückten einer unerträglichen Gegenwart oder den Geistern der Vergangenheit mit grotesken, makabren und surrealen Bildern zu Leibe. De la Iglesia stopft jenen, die nicht sehen wollen den Mund voll mit blutiger Torte und zwingt sie dabei in den Spiegel zu schauen. Wer zurückblickt sind: der freundliche ältere Generalissimo Franco und zwei durchgeknallte Clowns.

De la Iglesia: «Franco hat immer die Rolle des netten Grossvaters gespielt. Die Bevölkerung hielt es für undenkbar, dass dieser Mann zu Bösem fähig wäre, dass er lächelnd Todesurteile unterzeichnete. Der gefährlichste Irrtum über Diktatoren ist ja, sie für Monster zu halten: ‹Sie sind keine Menschen, also müssen wir uns nicht mit ihnen auseinandersetzen.› Franco aber war ein Mensch wie du und ich, und was er getan hat, dazu ist jeder andere fähig. Ich will klarstellen, dass jeder Spanier am Franquismus beteiligt war. Dass wir über 40 Jahre lang zu diesem Mann Ja und Amen gesagt haben, ist unsere Schuld.»

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