Gerichtsdramen gehören zum Hollywood-Kanon wie Musicals und Western. Wie es sich für ein Genre gehört, ähneln sich darin die Figurenkonstellationen, auch wenn die Perspektive, aus der erzählt wird, wechselt. Gestrenge Richter leiten die Verfahren vom Richterpult aus.
Heerscharen von Staatsanwälten und Verteidigern bekämpfen sich mit fairen und weniger fairen Mitteln, befragen Zeugen und buhlen mit eloquenten Schlussplädoyers um die Gunst der Geschworenen. Und schliesslich entscheidet die «Jury» über das Schicksal des oder der Angeklagten. Das amerikanische Justizsystem, das auf dem englischen basiert und jeden Bürger für Wochen und Monate in die Rolle eines Geschworenen zwingen kann, ist wohl den meisten Filmfans geläufig.
Geschichte des Gerichtsdramas
Als wegweisendes Gerichtsdrama gilt «Twelve Angry Men». Die Jury in Sydney Lumets Klassiker aus dem Jahr 1957 besteht aus Männern. Kein Wunder, denn erst ab 1975 standen in den Vereinigten Staaten den Frauen dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie den Männern zu, wenn es um den sogenannten Jury-Service ging.
In Klassikern des Genres sind aber nicht nur die Geschworenen, sondern auch die gesetzgebenden und -sprechenden Figuren mehrheitlich Männer. Frauen müssen sich häufig mit der Rolle der Zeugin («Witness for the Prosecution», 1957), der Geschädigten («The Verdict», 1982) oder aber der Angeklagten begnügen.
Frauen erobern die (fiktiven) Gerichtssäle
Ausnahmen bestätigen die Regel: So darf sich als frühes Beispiel einer weiblichen Anwältin die resolute Katharine Hepburn im komödiantischen «Adam’s Rib» (1949) auf Augenhöhe mit Spencer Tracy vor Gericht zanken. In der neueren Filmgeschichte tauchen dann immer mehr Frauen in tragenden Rollen auf: Kelly McGillis verhilft als toughe Staatsanwältin einem Vergewaltigungsopfer, gespielt von Jodie Foster, in «The Accused» (1988) zu ihrem Recht.
Rebecca de Mornay verteidigt in «Guilty as Sin» (1993) einen vermeintlichen Ehefrauenmörder (Don Johnson). Und auch in den unzähligen Gerichts- und Anwaltsserien, die seit Jahrzehnten in den USA produziert werden, brauchen sich Anwältinnen und Richterinnen in den letzten Jahren nicht mehr hinter ihren männlichen Berufskollegen zu verstecken.
Weiblich dominierte Anwaltsserien
Das Spektrum der weiblich dominierten Anwaltsserien reicht von «Damages» mit Glenn Close als smarte und rücksichtslose Anwältin Patty Hewes bis zu «Ally McBeal» mit der skurril-liebenswerten, Selbstgespräche führenden Calista Flockhart in der Titelrolle.
Die mehrfach preisgekrönte Serie «The Good Wife», von der in den USA bereits die vierte Staffel läuft und die ab 29. April auf SRF2 zu sehen ist, spielt ebenfalls mit den klassischen Zutaten des Gerichtsdramas.
Gleichzeitig ist sie aber ein vielschichtiges Gesellschaftsporträt und ein Familiendrama. Wie es der Titel bereits sagt, steht eine Frau im Mittelpunkt. Gleichzeitig bietet die Serie aber Platz für weitere, nicht minder interessante weibliche Nebenfiguren.
Die «gute» Frau emanzipiert sich
Julianna Margulies, bekannt aus der Ärzteserie «ER», spielt Alicia Florrick: Ehefrau des Staatsanwalts von Chicago (Chris Noth, Mr. Big aus «Sex and the City») und fürsorgliche Mutter zweier halbwüchsiger Kinder. Ihren Beruf als Anwältin hat Alicia nach knapp zwei Jahren Berufspraxis für ihre Familie an den Nagel gehängt.
Soweit so «gut». Doch als ihr Mann Peter über einen Sexskandal stolpert, der Korruption angeklagt wird und im Gefängnis landet, emanzipiert sich «die gute Frau»: Sie wagt sich aus ihrem wohlbehüteten und begüterten Leben in den Berufsalltag zurück. Die aufstrebende Anwaltskanzlei, in der sie dank guter Beziehungen zu ihrem ehemaligen Studienkollegen Will Gardner (Josh Charles) landet, fordert von ihr ganz andere Eigenschaften als die der Mutter und Ehefrau.
Bloss keine Schwäche zeigen
In den ersten zehn Minuten der Serie erscheint Alicia brav und altbacken: Im adretten Deux-Pièces stellt sie sich scheinbar ruhig und gefasst an der Seite ihres Mannes dem Blitzlichtgewitter der Presse. Trotz der Demütigung scheint sie sich in ihre Rolle zu schicken. Doch schon hinter den Kulissen zeigt sie ihre wahren Emotionen und tut damit einen ersten Schritt in Richtung Unabhängigkeit.
Anfängliche Kritik verstummte
Der Titel der Serie gab Anlass zu Kritik, der Pilot-Folge wurde eine gewisse Klischeehaftigkeit vorgeworfen. Der Befreiungsschlag der braven Hausmutter sei gar vorhersehbar, ebenso die ersten Kämpfe, die sie auszustehen hat und mit besten Absichten in Angriff nimmt.
Doch die Serie zeigt die Entwicklung und Emanzipation der Figur auf derart subtile und spielerisch brillante Weise, dass der Vorwurf von Kritik und Publikum schnell verstummte.
Ihr Ehrgeiz, aber auch ihre Schwächen machen Alicia bald zu einer höchst ambivalenten Figur. Margulies spielt Alicia distanziert, unsicher und verletzbar. Dies erlaubt dem Publikum zwar nicht, sich sofort mit ihr zu identifizieren. Dafür macht es Lust, Alicia näher kennenzulernen und ihren «Gefühlspanzer» zu knacken.
Druck von allen Seiten
Diesen muss sich Alicia anlegen, denn sie wird von allen Seiten bedrängt: Zur privaten Demütigung durch die Sexkapriolen ihres Mannes kommt die öffentliche hinzu, da seine Affären in allen Medien breitgewalzt werden und sie bis ins Büro und die Gerichtssäle verfolgen. Um ihre Kinder zu schützen, versucht sie normal weiterzuleben, obwohl sie über eine Scheidung nachdenkt.
Gleichzeitig sieht sie sich unterschwelligen Vorwürfen ihrer Schwiegermutter ausgesetzt, die von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt ist. In der Anwaltskanzlei wird sie ins kalte Wasser geworfen. Sie beginnt zuunterst in der Hackordnung, inmitten der vom Ehrgeiz besessenen Junganwälte. Gleich am ersten Tag erfährt sie, dass sie einen direkten Konkurrenten um ihren Job hat. Schliesslich ist da noch Will, ihr Studienkollege und direkter Vorgesetzter, mit dem Alicia weit mehr verbindet als rein freundschaftliche Gefühle. Kein Wunder, wird ihre Integrität mehr als einmal auf die Probe gestellt.
Drei Frauen gegen den Rest der Welt
Neben Alicias vielschichtigem persönlichem Hintergrund steht in jeder Folge ein Gerichtsfall im Zentrum. Die Fälle sind dabei nicht bloss ein Alibi, um all die Kurzauftritte bekannter Stars als Richter oder Anwälte zu rechtfertigen. Die Macher der Serie nehmen immer wieder auf reale gesellschaftliche Entwicklungen Bezug und verweben diese geschickt mit den privaten Geschichten der Hauptfiguren.
An dieser Stelle kommen zwei andere Frauen ins Spiel, die Alicias Figur von Anfang an begleiten: Diane Lockhart (Christine Baranski) als Geschäftspartnerin von Will und Vorgesetzte von Alicia und Kalinda Sharma (Archie Panjabi) als Inhouse-Ermittlerin der Kanzlei.
Stärke durch Freundschaft
Wer Baranskis kehliges Lachen einmal gehört hat, wird ihre Diane so schnell nicht wieder vergessen. Als stets elegant gekleidete, wortgewandte Chefin von «Stern, Lockhart & Gardner» ist sie der Inbegriff der smarten Anwältin, die ihren Weg ohne Umwege oder persönlichen Ballast gegangen ist. Sie weiss, wann Härte im Geschäft unumgänglich ist und hat trotzdem das Herz auf dem rechten Fleck. Sie kann beim männlichen Geschlecht mit einem kleinen Flirt – dank ihrer Grösse stets auf Augenhöhe – vieles erreichen.
Eine nicht minder starke Persönlichkeit (wenn auch einen Kopf kleiner) ist Kalinda, die Ermittlerin, die der Kanzlei die Beweise zur Verteidigung ihrer Klienten beschafft. Mit ihren unorthodoxen, nicht immer legalen Methoden und ihrem eigenwilligen Kleidungsstil schafft es Kalinda auf allen Ebenen anzuecken, lässt sich aber nicht beirren. Zu Alicia scheint sie gleich von Beginn weg einen Draht zu haben. Ihr persönlicher Hintergrund bleibt lange im Dunkeln, was den Reiz der Figur noch erhöht.
Die perfekte Mischung
Mit einem solchen weiblichen Dreigespann kann eigentlich nichts schief gehen. Von Vorteil ist, dass die Macher der Serie von Anfang an weder auf ein reines Gerichtsdrama gesetzt noch einen zu soapigen Ansatz gewählt haben. Sie scheuen nicht davor zurück, gesellschaftskritische Fragen zu stellen und Institutionen zu hinterfragen, sei es das Rechtssystem, die Ehe, die Kirche oder die Politik. Damit sprengen sie den Rahmen des konventionellen Gerichtsdramas.
Gleichzeitig bewahren sie Alicia, Diane und Kalinda davor, sich nur auf die altbekannten klischierten Frauenfragen nach Glück und Liebe konzentrieren zu müssen. Alle drei beweisen sich täglich in ihrem Beruf. Doch auch ein Publikum, das mehr aus ihrem Privat- und Liebesleben erfahren möchte, kommt durchaus auf seine Rechnung. Keine Frage, die schillernden weiblichen Figuren aus «The Good Wife» werden Protagonistinnen künftiger Gerichts- und Anwaltsserien als Vorbild dienen können.