Stille. Leere Blicke, auf die Wand oder aus dem Fenster in die Ferne gerichtet. Die Zigarette lose im Mundwinkel, sitzen die Sträflinge in ihren Qualm gehüllt und warten. Sie warten auf die tägliche Stunde Spaziergang im Gefängnishof, die Arbeit in einer der Werkstätten, den nächsten Besuch, die Entlassung. Auch wenn die noch Jahre entfernt ist.
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Die Männer vom Thorberg heissen Luca, Maiga, Andrij, Ilaz, Ismet, Timothy und Janis. Sie kommen aus der Schweiz, der Elfenbeinküste, der Ukraine, Lettland, dem Kosovo und der Türkei. Nun sitzen sie – zusammen mit insgesamt 180 Männern – auf einem Hügel eingangs des Emmentals fest, zwischen Bern und Burgdorf, die meisten von ihnen für viele Jahre.
Vögelfüttern gegen die Langeweile
Der Berner Filmemacher Dieter Fahrer hat sieben dieser Gefangenen drei Jahre lang begleitet. Dabei entstand ein eindrückliches Zeugnis vom Rande unserer Gesellschaft. Porträts von Menschen, die zu Schwerverbrechern wurden und nun auf der ehemaligen Burg Thorberg ihre Strafe absitzen.
Aus sicherer Distanz erhalten wir Einblick in deren Alltag, kriegen etwas von ihren Konflikten untereinander mit und werden Zeugen einer wiederkehrenden Perspektivenlosigkeit, einer alles dominierenden Leere.
Dieser Leere versuchen die Insassen auf unterschiedlichste Weise zu begegnen. Kleinigkeiten wie das Füttern der Vögel im Winter erhalten plötzlich Gewicht. Denn hier ist man zum Nichtstun verdammt. Der junge Häftling Luca, verurteilt wegen Mordes, beschreibt die Situation folgendermassen: «Wir sind immer hier, morgens bis abends. Wenn jemand etwas braucht, helfen wir. Aber es gibt niemanden, der etwas braucht.»
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Über die Tat reden, nicht über die Opfer
In Thorberg sitzen die Männer nicht wegen Kavaliersdelikten. Vor der Kamera erzählen sie von den schweren Taten, die sie ins Gefängnis gebracht haben. Sie tun dies in den unterschiedlichsten Facetten, mit einer bisweilen verstörenden Offenheit. «Ich fand das Auftragsmörderding irgendwie noch cool» (Luca) - bis hin zum verzweifelten Versuch, das Unerklärliche zu erklären: «Ich wollte nur spielen, dass ich es ernst meine» (Ilaz).
Doch so viel Verborgenes im Film auch zum Vorschein kommt, es bleibt eine Leerstelle: Die Opfer dieser Gewaltverbrechen sind unsichtbar, kommen höchstens in einer der verzweifelten Schilderungen der Insassen zur Sprache. Dies sei bewusst geschehen, sagt Dieter Fahrer, man wäre sonst den Betroffenen nicht gerecht geworden: «Als Filmemacher bin ich mir jedoch bewusst, dass die Opfer, die Grauenhaftes erlebt haben, oft ein Leben lang darunter leiden.»
Man tut nichts für eine Resozialisierung
Fahrer lässt den Protagonisten viel Raum, lässt sie selber bestimmen, wie viel sie von sich Preis geben wollen. Janis etwa, der junge Lette, der wegen Mordes verurteilt wurde, gibt sich zurückhaltend: «Gewisse Dinge schockieren mich selber. Darum hab ich keine Lust, zu erzählen. (...) Vielleicht musste ich kriminell enden, um zu begreifen, dass das nicht das Leben ist.»
Janis zeigt den eingeschränkten Spielraum in Thorberg auf. Es gebe nicht viel, was man im Knast lernen könne: «Man spricht von Resozialisierung, aber man tut nichts dafür. Nachher ist man schockiert, dass so viele rückfällig werden. Weil die Gefängnisse zu gut sind? Nein, weil es keine Strukturen gibt, um daran zu arbeiten.» Mit einer Fussfessel Sozialarbeit zu leisten, wäre laut Janis konstruktiver, als zehn Jahre lang in einem Raum herum zu hängen und über sich selber nachzudenken.
Nach der Entlassung - Was ist Janis geblieben?
Im Film steht Janis kurz vor seiner Entlassung – es ist eine Entlassung ins Leere. Mit der Freiheit geht auch die Abschiebung aus der Schweiz einher. Im Telefongespräch mahnt er seine Grossmutter in seiner Heimat Lettland: «Du musst auf dich aufpassen, du bist die einzige Person, die mir bleibt.»
Was ist geblieben? Über den langen Zeitraum der Dreharbeiten hat sich zwischen dem Filmemacher Dieter Fahrer und dem (heutigen Ex-)Sträfling Janis eine feine Beziehung entwickelt. Seit Janis Rückkehr nach Lettland hatten sie immer wieder Kontakt per Skype. Doch laut Fahrer stehe es um die Zukunftsperspektiven der meisten Ex-Sträflinge generell schlecht. Im Fall von Janis, einem russischstämmigen Letten und somit Angehörigen einer Minderheit, zudem ohne Grundschulabschluss, seien die Aussichten besonders düster. Sein Plan war es, zur See zu fahren. Doch daraus ist wegen seiner fehlenden Schulbildung nichts geworden. Nun ist er vor gut einem Monat losgezogen – Ziel unbekannt.
Die grosse Ausnahme
Doch es gibt sie auch, die positiven Geschichten: Der Kosovare Ilaz kehrte nach seiner Entlassung aus dem Thorberg in die Heimat zurück, wo er auf die Unterstützung seiner Familie zählen konnte. Heute ist er stolzer Besitzer einer eigenen Beiz. Die Geschäfte laufen gut – vor kurzem dann die schönste Überraschung für ihn: Seine Tochter, zu der er wegen seiner Tat zuvor während Jahren keinen Kontakt haben durfte, hat sich bei ihm gemeldet. Damit ist Ilaz' Schicksal eine der grossen Ausnahmen unter den Männern vom Thorberg.