«Tournée» ist die erste Regiearbeit von Schauspieler Mathieu Amalric («James Bond – Quantum of Solace»). Und es ist der sehr persönliche Zugang eines Franzosen zum Phänomen der «New Burlesque»-Shows.
Im Roadmovie spielt Amalric auch die Hauptrolle. Er verkörpert den Impressario Joachim Zand, einen in Ungnade gefallenen Ex-Produzenten des französischen Fernsehens, der nun mit einer dieser durchgeknallten US-Erotik-Shows in Frankreich einen Comeback-Versuch starten will.
Neben Amalric spielen Amerikanerinnen mit Namen wie Mimi Le Meaux, Kitten on the Keys oder Dirty Martini, ihres Zeichens alle reale «New Burlesque»-Performerinnen.
Abgeschminkt wird zum Schluss
Als Endpunkt der Tour und gleichzeitig als Vollendung seiner Rehabilitation plant Zand das Grande Finale auf einer angesagten Bühne in Paris. Doch irgendwie will es dazu nicht kommen. Weshalb, davon erzählt «Tournée».
Es ist die Geschichte eines kleinen haspligen Mannes, der sich rast- und erfolglos immer wieder neu zu erfinden versucht. Dazu passend natürlich die Auftritte seiner «New Burlesque»-Frauen, die in ihrer Show seine Pläne, Träume und Ängste aufnehmen, ironisieren, verfremden und damit Zands trauriges Scheitern enthüllen.
Befreiung
Amalric startete sein Filmprojekt mit wenig Vorwissen über die «New Burlesque»-Szene. Auf das Phänomen gebracht hatte ihn ein Artikel, der ihm bei den Vorbereitungen zu einem ganz anderen Film in die Hände fiel. Obwohl er also kein intimer Kenner ist, schafft Amalric den poetischen Hochseilakt zwischen Striptease auf der Bühne und dem Seelenstriptease eines traurigen Mannes.
Sehr schnell wird nämlich klar, dass der Impresario bei seinen Landsleuten nur verlieren kann. Gleichzeitig gelingt es den kurvenreichen US-Ladies – für welche die wunderbar knallige Inszenierung ihrer Weiblichkeit ein Akt der Befreiung ist – die Franzosen für sich einzunehmen.
Weibliche Subkultur
Mit dem Engagement von Dirty Martini & Co hat Amalric Protagonistinnen jener wiederbelebten Erotik-Show-Tradition verpflichtet, die seit den 90er-Jahren als «New Burlesque» weltweit Erfolge feiert.
Zwar sind die Shows mit Glamour-Performerinnen wie Dita Von Teese mittlerweile Mainstream und damit in den «glossy» Werbewurfsendungen der Grossverlage angekommen. Gleichwohl hat «The New Burlesque» als weibliche Subkultur Bestand und bildet für tätowierte Rockabilly-Chicks, Pin-Up-Enthusiastinnen, Fetischistinnen, Cirque-Nouveau-Artistinnen, Musikerinnen, Performerinnen und Stripperinnen eine gemeinsame Plattform.
Wurzeln des Phänomens
Dass man das Phänomen «Burlesque» auch heute noch oft auf die erotische Proletenaufgeilung reduziert, hat mit den Ursprüngen der Shows in den britischen und amerikanischen Variétés des 19. und 20. Jahrhunderts zu tun.
In den Anfängen lag das Hauptaugenmerk der erstaunlich emanzipierten Performerinnen näher beim Zirkus, der Oper, Satire und Parodie. Schnell allerdings rückte der laszive Striptease ins Zentrum und machte das kunstvolle Ausziehen bis auf String und Pasties auf den Brustwarzen zur (männlichen) Volksunterhaltung, der erst die sexuelle Revolution in den 60er-Jahren ein Ende setzte.
The «New Burlesque»
Seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde diese Erotik-Tradition dann wieder belebt. Burlesque durchlief, wie in Retroszenen oft üblich, eine frivole Umwertung und feierte als Empowerment femininer Subkultur(en) ihre Auferstehung.
Selbstbewusste Frauen setzten hier ihre Weiblichkeit in Szene: grell, glamourös und mit ironischen Seitenhieben. Vor diesem wunderbar übergeschnappten Leben nun erscheint Amalrics Impressario, der sich als Macher fortlaufend selber demontiert, als irre gewordenes Batteriehäschen, das sich im Leerlauf nur noch um sich selber dreht.