«Hi Nick. Du schaffst jetzt die Kohle ran. Oder Du lernst mich kennen». Diese bedrohliche Nachricht auf Nicks Telefonbeantworter löst bei dem Filou (Georg Friedrich) eine blitzartige Flucht aus. Auf der Suche nach einem temporären Domizil landet er zufällig in der Villa eines alten Psychoanalytikers. Offiziell eingestellt als temporärer Betreuer für den alten Mann (André Wilms) nimmt er die Gelegenheit wahr, aus dem Haus auch gleich noch ein paar wertvolle Bücher abzustauben. Das Verhökern von interessanten Erstausgaben ist Nicks Broterwerb.
Der alte Herr allerdings durchschaut den kleinen Hallodri schnell und macht ihn zu seinem aktuellen Studienobjekt. Als er ihn konkret zu analysieren beginnt, gerät Nick erst aus dem Häuschen und dann in Abhängigkeit.
Spiel mit Humor-Varianten
Der Film spielt lustvoll mit Psycho-Klischees bis hin zur sogenannten «Übertragung», die für einmal ganz wörtlich verstanden werden darf. Sie geht nämlich so weit, dass Nick die Ticks und Psychosen des Alten übernimmt und zum Beispiel die Schwelle zur Küche plötzlich nicht mehr überschreiten kann – sehr zum Erstaunen und heimlichen Vergnügen seiner Freundin.
Damit ist der Kleinkriminelle plötzlich auf den alten Psychiater angewiesen, dem er eigentlich bloss die Bücher klauen wollte. «Über-Ich und Du» spielt nicht nur mit den Versatzstücken der Psychoanalyse, sondern ganz generell mit möglichen Humor-Varianten, bis hin zur Ausstattung: Türen haben Gesichter, eine geheimnisvolle weisse Katze führt von einer Figur zur nächsten und über dem ganzen Film schweben Fesselballone, aus denen scheinbar körperlose Stimmen zu hören sind mit Kommentaren über die Welt da unten.
Würde und Respekt auch im absurdesten Moment
Der Film hat einen roten Faden und tritt auf als klassische Buddy-Komödie mit gegensätzlichen Figuren in einem Boot. Da trifft der alte Analytiker, der vor allem in der Vergangenheit lebt, auf den jungen Hallodri, den ausser der Gegenwart gar nichts interessiert.
Veteran André Wilms (mit charmantem Akzent als Elsässer verkauft) und der stets unnachahmlich präsente Österreicher Georg Friedrich geben ihren Figuren nicht nur eine beeindruckende Würde sogar im absurdesten Moment. Sie machen auch einen gegenseitigen Respekt spürbar, der dieses Odd-Couple auf eine fast schon subversiv aussergesellschaftliche Gemeinschaftsplattform hievt.
Auch das gute Elternhaus wird nicht verschont
Der Humor des Film pendelt zwischen bürgerlich-intellektuell und absurd-grotesk, zwischen Präzisionsarbeit à la Billy Wilder und völligem Abgehoben-Sein im Stil der «Seinfeld»-Comedy. Und immer wenn man denkt, jetzt haben sich die Autoren aber völlig verstiegen, folgt der nächste Klamauk gezielt unter Niveau.
Regisseur Benjamin Heisenberg ist bildender Künstler und Mitherausgeber der Filmzeitschrift Revolver. Für seinen dramatischen Spielfilm «Der Räuber» wurde 2010 an der Berlinale gefeiert. Seither hat der Name «Heisenberg» mit der gefeierten Drogenkoch-Serie «Breaking Bad» eine unerwartete neue Popularität gewonnen, aber auch die geht natürlich zurück auf den deutschen Physiker Werner Heisenberg. Benjamin Heisenberg ist nicht nur dessen Enkel, sondern auch ein Nachkomme von Carl Friedrich und Richard von Weizsäcker. Mit anderen Worten: Er stammt aus sogenannt gutem Haus und macht sich mit Vergnügen auch darüber lustig, wenn er in «Über-Ich und Du» einen alten Psychiater auf einen jungen Kleinkriminellen loslässt.
Das Gefühl, plötzlich wieder atmen zu können
Der Humor des Films steht in einer langen Tradition, die aus dem deutschen Kino mit der Nazi-Vertreibung der jüdischen Intellektuellen nach Hollywood weitgehend verschwunden ist. Aber zum Glück nicht aus den Köpfen der Menschen. Gerade weil Heisenberg in seinem Film alle Spielarten der Komik nutzt – vom platten Witzchen bis zum abstrakten Gag – hat man im Kino das Gefühl, auf ungewohnte Art plötzlich wieder atmen zu können. Dabei geholfen hat ihm die allmähliche Gewöhnung des modernen Publikums an absurde Komik durch Monty Python oder das serielle Standup-Team des Amerikaners Jerry Seinfeld.