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Film & Serien Unermüdlich gegen die Zensur

Regisseurin Barbara Miller porträtiert in ihrem Dokumentarfilm «Forbidden Voices» drei Bloggerinnen, die der Zensur trotzen. Ein Blick auf die Methoden der Kämfperinnen für Meinungsfreiheit in Kuba, China und im Iran.

«Tatsächlich, ist Yoani wieder verhaftet worden?», Regisseurin Barbara Miller hat den Tweet  noch nicht gesehen beim ersten Recherchegespräch zu diesem Artikel am 9. November 2012. Die Kurznachricht von Yoani Sánchez ist zu dem Zeitpunkt erst wenige Stunden alt. Die Kubanerin schreibt, dass sie nach mehreren Stunden Untersuchungshaft wieder durch die Strassen von Havanna gehe.

Twitter als eine Art Lebensversicherung

Es ist das zweite Mal innert zwei Monaten, dass Sánchez verhaftet worden ist. Die Repressionen in Kuba hätten seit diesem Herbst stark zugenommen, bestätigt auch Lucie Morillon von Reporter ohne Grenzen im Update-Video zu Kuba im Webdok zu «Forbidden Voices» .

Verhaftungen, öffentliche Diffamierung, Polizeigewalt und das Ausreiseverbot, das seit Jahren aufrechterhalten wird: Sánchez steht enorm unter Druck. Wenn sie sich in Gefahr wähnt, mehren sich ihre Twitter-Nachrichten. Sie teilt ihren genauen Aufenthaltsort mit, manchmal im Abstand von wenigen Minuten. «So sichert sich Yoani Sánchez ab», erklärt Regisseurin Miller.

Denn Sànchez' Twitter-Nachricht wird von Tausenden gelesen. Jene vom November wurde wenige Stunden später von freiwilligen Helfern übersetzt und auch über den deutschen und englischen Twitter-Account verbreitet. Insgesamt hat Sánchez etwa 350 000 Follower auf Twitter. Über die Massenmedien verbreitete sich die Nachricht von ihrer Verhaftung wie ein Lauffeuer. 

Kein Internetanschluss und doch 14 Millionen Klicks

Die Kubanerin ist nicht nur auf Twitter aktiv, sie führt auch einen Blog und schreibt für internationale (Web-) Medien. Im Dokumentarfilm «Forbidden Voices» sagt Yoani Sánchez: «Mein Blog schützt mich, ist aber auch der Auslöser für meine Schwierigkeiten. Seine Bekanntheit und meine Leser gewähren mir einen Schutz vor den Repressionen, die ich wegen meines Blogs erfahre.»

Yoani Sànchez hat keinen Internetanschluss zu Hause, aber ihr Weblog «Generation Y»  erreicht über 14 Millionen Klicks monatlich. Wie macht sie das? Sánchez schreibt zu Hause und verschickt die Texte dann per E-Mail von Touristenhotels aus, wo der Zugang zum Internet seit einigen Jahren auch für Einheimische möglich ist. Freunde im Ausland stellen ihre Texte und Fotos online, Sánchez habe allerdings ihren eigenen Blog, seit er 2008 in Kuba gesperrt wurde, nicht mehr gesehen, weiss Regisseurin Miller. 

Mit Texten, die sie für Zeitungen und Webportale im Ausland schreibt, verfährt sie auch so. Ihre Dauerpräsenz auf dem Webdienst Twitter ist dank ihrem alten Handy möglich. Sánchez kann damit über das Mobilnetz 140-Zeichen-Texte per SMS auf Twitter publizieren.

Druckmittel Familie

Internet- und Telefongebühren sind für kubanische Verhältnisse sehr hoch. Die permanente Präsenz auf Twitter ermöglichen Sánchez unter anderem Sympathisanten im Ausland, die übers Internet Guthaben auf ihr Handy laden. Seit Kuba sich wirtschaftlich etwas geöffnet hat, kann sie auch die Lohnüberweisungen für ihre Artikel einfacher beziehen.

Im eigenen Land verbreitet Sánchez ihre Inhalte auf CD-Roms oder auf Papier. Interessierten Landsleuten zeigt sie in Kursen, wie man die neuen Medien nutzt. Sánchez ist eine furchtlose Kämpferin, die aber durchaus verletzlich ist: «Eine der grössten Ängste von Yoani ist, dass man sie eines Tages zwar aus-, aber nicht wieder einreisen lässt. Zurück zu ihrer Familie, ihrem Sohn im Teenageralter», berichtet die Regisseurin von «Forbidden Voices».

Das «nationale Internet» Irans

Dass sie ihre Familie nie wieder sieht, befürchtet auch Farnaz Seifi. Seit 2007 lebt die Iranerin im Exil in Deutschland, wo sie für die «Deutsche Welle Persian»  arbeitet. Seifi hatte sich bis trotz Repressionen lange geweigert, anonym zu bloggen. Heute setzt sie unter ihre regimekritischen und emanzipatorischen Texte ein Pseudonym, um ihre Familie zu Hause vor Repressionen zu schützen.

VPN

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Mit einem Virtual Private Network wird innerhalb des Internets eine sichere, private Verbindung hergestellt. Man kann sich eine Röhre im Datenmeer vorstellen, durch die Informationen gesondert und geschützt fliessen.

Die iranische Regierung ist dabei, das so genannte «Halal-Internet» einzuführen. Ein «Intranet» nur für Iran, vollständig abgekoppelt vom World Wide Web (WWW). «Dieses interne Netz enthält nur noch Informationen, die die Regierung freigegeben hat», berichtet Lucie Morillon von Reporter ohne Grenzen im neusten Video zur Situation im Iran  im Webdok.

Noch greift dieses «nationale Internet» nicht überall: Zurzeit erhalte man im Iran, je nach dem wo man online gehe, völlig unterschiedliche Informationen, so Morillon weiter.

Diese Abkoppelung vom WWW wurde bereits vor einigen Jahren angekündigt. Der Staat versucht mit grossem Aufwand nicht konforme Web-Nutzer zu überführen. In Internetkaffees müssen sich User ausweisen und die Surfaktivitäten werden per Video überwacht. Anti-Zensur-Tricks wie VPN und Verbindungen zu Proxyservern (siehe Box rechts) werden bekämpft. Wenn die Lage im Land sehr angespannt war, seien die Bandbreiten verlangsamt und sogar ganze Stadtteile vom Netz genommen worden, schreiben die Web-Expertinnen von Reporter ohne Grenzen im Webdok-Merkblatt zur Pressefreiheit im Iran .

Fünf Jahre Hausarrest in Peking 

Auch Zeng Jinyan nutzte Proxy-Server, um die Zensur in China zu umgehen. Fast fünf Jahre stand die Menschenrechtsaktivistin in Peking unter Hausarrest. Regisseurin Miller konnte für ihre Dokumentation nicht direkt mit ihr in Kontakt treten. Die Videoausschnitte in «Forbidden Voices» drehten Jinyan und ihr Mann Hu Jia selber. Er ist ebenfalls ein bekannter Menschenrechtsaktivist.

Proxy-Server

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Ein Proxy-Server ist eine Art Vermittler, über den gesperrte Webseiten «weitergeleitet» werden. Man wählt einen Proxy-Server an, der in einem zensurfreien Land steht, und erhält so Zugriff auf gesperrte Webseiten. Wenn Zensurbehörden einen Proxy-Server identifizieren, sperren sie meist den Zugriff auf diesen.

Chinas Zensursystem ist eigenwillig. Zengs Blog funktioniert dann, wenn sich die Behörde von ihren Einträgen Einblick in ihre Pläne verspricht. Eine andere Erscheinung sind vom Staat finanzierte Schreiber, die so genannte «50 Cent Party». Sie kommentieren regimekritische Beiträge, versuchen die Netz-Meinung zugunsten der Regierung zu beeinflussen und werden dafür bezahlt.

Alle Protagonistinnen haben «Forbidden Voices»

Die grösste Schwierigkeit der chinesischen Zensurbehörde ist die schiere Menge an Beiträgen. Auf Twitter ähnlichen Mikroblogs werden unkontrollierbar viele Meldungen verbreitet. Seit 2012 versucht China deshalb ein Identifikationssystem durchzusetzen, um anonyme Meinungsäusserungen zu verunmöglichen.

Zeng Jinyans Leben veränderte sich kürzlich drastisch. Sie trennte sich offiziell von ihrem Mann. Darauf durfte sie mit der 4jährigen Tochter ins liberalere Hongkong umziehen (siehe auch Webdok -Video «Situation Zeng Jinyan»). Dort konnte sie den Film «Forbidden Voices» endlich sehen, weiss Lucie Morillon von Reporter ohne Grenzen.

Regisseurin Barbara Miller hätte Zeng Jinyan am liebsten per Skype interviewt, um auch ihre Reaktion auf «Forbidden Voices» im Webdok zum Film aufzuschalten. Doch es bleibt unverändert schwierig, mit ihr in Kontakt zu treten.

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