Jedes Kind weiss, was den britischen Meisterdetektiv Sherlock Holmes ausmacht: sein scharfer Verstand, die Pfeife im Mundwinkel und die unverkennbare Jagdmütze auf dem Kopf. Er habe nie eine solche Mütze getragen und er bevorzuge Zigarren, sagt nun ein alternder Sherlock Holmes im Film «Mr. Holmes», wunderbar lakonisch gespielt von Ian McKellen. Und falls er jemals selber einen Fall zu Papier brächte, so würde Holmes sich die künstlerischen Freiheiten seines Freundes und Biografen, Doktor Watson, verbieten.
Worüber schreibt Holmes?
30 Jahre sind vergangen, seit Sherlock Holmes im Ruhestand ist. Er hat London den Rücken gekehrt und lebt auf dem Land. Eine Haushälterin kümmert sich um den alten Mann am Stock, der keine anderen Interessen mehr zu haben scheint als die Bienenzucht.
Doch Roger, der elfjährige Sohn der Haushälterin, ist ein aufgeweckter Junge. Ihm entgeht nicht, dass Holmes tatsächlich zu schreiben begonnen hat. Aus Neugier schleicht er sich in dessen Studierstube und liest die Aufarbeitung eines alten Falles, oder zumindest einen Anfang: Ein Mann kommt zu Holmes in die Bakerstreet, weil er sich um seine Ehefrau sorgt.
Nicht nur die Altersdemenz
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Natürlich möchte Roger wissen, wie es weitergeht, doch genau das ist das Problem: Sherlock Holmes hat es vergessen. Das Alter macht nicht nur die Gelenke des Detektivs morsch, es beeinträchtigt auch sein Gedächtnis. Alles, woran Holmes sich noch erinnern kann, ist, dass es sein letzter Fall war – und der Grund, weshalb er sich zurückgezogen hat.
In Rückblenden rollt der ruhig inszenierte Kostümfilm, der frech am Mythos der unfehlbaren Denkmaschine kratzt, diesen letzten, entscheidenden Fall Stück für Stück auf. Und zeigt, dass nicht nur die Altersdemenz Holmes' Verstand trübt, sondern auch sein schlechtes Gewissen.
Holmes als britischer Alpöhi
Dabei gerät der Mann, der sich lieber mit Logik als mit Emotionen beschäftigt, mitunter nah an den Rand der Gefühlsduselei: Holmes als britische Version des Alpöhi, der dank eines Kindes die Freude am Leben wiederentdeckt, ist sicher nicht jedermanns Tasse Tee. Wie Ian McKellen den Bienen-Grossvater aber spielt, vital und brüchig zugleich, davon kann man nur Schwärmen.