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Ein Still aus dem Film «Wolf and Sheep».
Legende: Die 11-Jährigen Kinder Qodrat und Sediqa freunden sich an in der stillen Einsamkeit der afghanischen Berge. trigon-film

Film & Serien «Wolf and Sheep»: Verbotene Liebesgrüsse aus Afghanistan

Eine afghanische Regisseurin im Hauptprogramm des Filmfestivals von Cannes? Für dieses Novum sorgte dieses Jahr Shahrbanoo Sadat mit «Wolf and Sheep». In ihrem Erstling lässt Sadat ihre Jugend in den afghanischen Bergen aufleben. Poetisch, aber nicht ohne derbe Diaolge.

Über die Unruhen in Afghanistan erfahren wir nichts. Keine Taliban, keine Waffen, keine Drogen, kein Krieg. In diesem abgelegenen Dorf in Zentralafghanistan ist Technologie noch ein Fremdwort.

Hier lebt man vom Handwerk, von der Schaf- und Ziegenzucht. Telefone gibt es keine. Und trotzdem machen Gerüchte schnell die Runde.

Der aktuellste Tratsch: Nach dem Tod ihres Mannes soll eine Frau wiederverheiratet werden – mit einem Greis, der schon zwei Frauen hat.

Die Zielscheibe des Gespötts ist Qodrat, der junge Sohn dieser Frau. Ebenfalls schief beäugt wird die 11-jährige Sediqa. Es wird gemunkelt, ein vererbter Fluch laste auf ihr. Als Aussenseiter kommen sich Qodrat und Sediqa beim Schafehüten näher. Auch das wird im Dorf nicht gern gesehen.

Als Teenager eine Aussenseiterin

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Die junge Regisseurin Shahrbanoo Sadat, mittlerweile 26, erzählt in «Wolf and Sheep» aus ihrer eigenen Jugend.

«Ich wuchs als afghanisches Flüchtlingskind in Teheran auf. Ich war elf Jahre alt, als meine Eltern 2001 den Iran verlassen mussten und mit mir in ihr afghanisches Dorf zurückkehrten. Weil ich aus einem anderen Land kam und eine Brille trug, wurde ich dort nie akzeptiert. Ich fühlte mich fehl am Platz», sagt Shahrbanoo Sadat im Gespräch.

Doch Sadat blickt nicht zornig zurück auf diese bildungsfremde Gemeinschaft ohne Strom und Telefon. «Ich bin dort nicht glücklich geworden. Trotzdem lässt mich diese Welt nicht los. Es ist eine Welt der Traditionen, eine Welt voller Geschichten, die im afghanischen Kino noch nie erzählt wurden. Oder haben Sie schon mal einen Kaschmir-Wolf in einem Film gesehen?»

Wenn echte Fiktion lebt

Der Kaschmir-Wolf ist eine leibhaftige Sagengestalt. Als wäre es das Natürlichste der Welt, werden im Film die abergläubischen Vorstellungen der Dorfbevölkerung belebt.

«Für die Menschen in einem solchen Dorf existieren diese Wesen tatsächlich. Es lag auf der Hand, diese Ebene in den Film einzubauen», sagt Sadat. «Es waren für mich die Szenen mit dem höchsten dokumentarischen Anspruch.»

Ein Still aus dem Film «Wolf and Sheep».
Legende: Berührend: Shahrbanoo Sadat zeigt in ihrem Erstling den afghanischen Alltag, wie sie ihn kennt. trigon-film

Weit fiktionaler angelegt ist hingegen die leise aufkeimende Freundschaft zwischen Sediqa und Qodrat. «Ein guter Freund von mir wuchs in den 1980er-Jahren, rund 20 Jahre vor mir, im selben Dorf auf. Wir stellten fest, dass sich dort während dieser Zeit nichts verändert hatte. Daher konnte ich die Geschichte erfinden, in der er und ich gleichzeitig dort leben.»

Fantastisch, romantisch, witzig

«Wolf and Sheep» ist ein märchenhafter, romantischer Film. Derbe Dialoge sorgen für Lacher. Dazu Sadat: «Natürlich ist der Film humorvoll gemeint – vor allem die afghanischen Zuschauer amüsieren sich, sie erkennen vieles wieder. Mein Problem ist nur, dass ich den Film in Afghanistan gar nicht zeigen kann.»

Die Gründe für diesen quasi staatlichen Boykott sind vielseitig. Aber immerhin hat Sadat mittlerweile feststellen dürfen, dass auch das westliche Publikum ihren Film ganz lustig findet: «Aber ihr lacht nicht immer an den Stellen, die ich dafür vorgesehen hatte», sagt Sadat und schmunzelt.

Kinostart: 24.11.2017

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 24.11.2016, 7:20 Uhr.

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