Cate Blanchett spielt in «Blue Jasmine» eine New Yorkerin, die alles verloren hat, was ihr wichtig ist: den Status, ihren Mann und mit ihm auch das liebe Geld. Völlig am Boden sucht sie bei ihrer gesellschaftlich weit weniger ambitionierten Halbschwester Ginger in San Francisco Halt. Von der Frohnatur könnte sie viel lernen; wenn sie deren einfache Lebensart ertragen würde.
Um wieder in der High Society Fuss zu fassen, gibt sich Jasmine auf Partys als Innendekorateurin aus. In Wirklichkeit arbeitet sie aber als Vorzimmerdame bei einem steifen Zahnarzt, der ihr an die Wäsche will. Und dessen Avancen sind ohne starke Drinks kaum zu ertragen…
Das stärkste Zitat
«Ein unruhiger Flug, das Essen war grässlich… und das in der ersten Klasse!» (Jasmine, nun pleite, aber immer noch mit der Attitüde einer New Yorker Upper-Class-Lady, zu ihrer Halbschwester in San Franciso.)
Fakten, die man wissen sollte
Rauchen ist offenbar auch für Kinostarts eine tödliche Gefahr. Das indische Gesundheitsministerium machte Woody Allen die Auflage, vor jeder Filmszene, in der geraucht wird, eine Gefahren-Warnung einzublenden. Starker Tobak! Für Allen kam eine solche visuelle Verunstaltung nicht in Frage. «Blue Jasmine» wird im Kino-verrückten Indien darum auf keiner Leinwand zu sehen sein.
Präventivmedizinern ist der Film sowieso ein Dorn im Auge. Nicht nur wegen der Raucherszenen, sondern auch wegen des exzessives Konsums von Alkohol und Psychopharmaka. Zumal Cate Blanchett als Hauptfigur Jasmine ihre Xanax-Pillen mit Wodka Martinis runterzuspülen pflegt...
Der Regisseur
Mit Woody Allen verhält es sich ähnlich wie mit dem Weihnachtsmann. Über die Jahre hat man den Glauben an den kauzigen, alten Herrn verloren. Und doch freut man sich, dass er Jahr für Jahr zurückkommt und verlässlich seine Geschenke abliefert. Dass der eingefleischte New Yorker auch ausserhalb von Manhattan arbeiten kann, hat er erst 2005 mit «Match Point» bewiesen.
Die in London gestartete Europa-Filmreihe brachte frischen Schwung ins Oeuvre des 77-Jährigen. Nicht zuletzt deshalb steht Hollywoods Schauspiel-Elite Schlange, um mit Allen zu drehen. Bei Cate Blanchett hat ein kurzes Telefonat gereicht, um sie für «Blue Jasmine» zu verpflichten.
Das Urteil
Dank Blanchetts Oscar-verdächtiger Performance ist «Blue Jasmine» der bisher stärkste Film im zweiten Frühling von Woody Allen. Obwohl einem seine Hauptfigur nie richtig sympathisch wird, sieht man voller Mitgefühl zu, wie sie angewidert auf ihre neue Existenz in San Francisco blickt und alles tut, um dieser zu entkommen.
Natürlich ist Jasmines Ringen um ihren verlorenen Status bisweilen auch komisch, doch ein typischer Woody-Allen-Klamauk ist «Blue Jasmine» deswegen noch lange nicht. Wenn Jasmine völlig zugedröhnt Selbstgespräche führt, läuft es einem vielmehr kalt den Rücken runter. Die Party ist vorbei und Allens frisch entflammte Ernsthaftigkeit schlicht atemberaubend.