NEUROO-X heisst der IT- und Gamekonzern, der in «Polder» die Welt dominiert. Der visionäre Gründer Marcus ist verschwunden oder tot. Er versucht aber aus der von ihm geschaffenen virtuellen Welt heraus seine Witwe Ryuko mit den nötigen Informationen zu versorgen, um der skrupellosen Konzernführung das Weltdominationshandwerk zu legen.
Realität oder Spiel?
Dazu hat Marcus nicht nur in der virtuellen Welt Hinweise hinterlegt, sondern auch in der realen: Zettel, Rätsel, Aufzeichnungen. Ryuko muss den Passwortschutz des aus einleuchtenden Gründen «Klotz» genannten Uralt-Laptops von Marcus knacken.
Gelingt ihr das nicht, wird der Konzern ein neues Interface auf den Markt bringen, das den Menschen endgültig die Unterscheidung von Game und Realität verunmöglichen wird.
Zwischen den Welten
Gefangen im Game waren schon die Helden von «Tron». Und die platonische Vorstellung, dass unsere Realität eine Simulation sein könnte, hat «The Matrix» popularisiert.
Längst haben unzählige Filme versucht, diesen Grenzbereich zwischen Fiktion und Realität fassbar zu machen – im Prinzip ist jede Geistergeschichte seit Beginn der Menschheit zwischen Welten angesiedelt.
Film, Theater, App, Performances
«Polder» geht auf zwei Parallel-Projekte zurück. 2009 konzipierte Samuel Schwarz die Idee für einen Film und parallel dazu entwarf das von ihm mitgegründete Theaterkollektiv «400asa» ein Entwicklungsprojekt für «Alternate Reality Games» mit Schauspielern, einer App, Performances und Zuschauerbeteiligung.
Schliesslich stellte sich heraus, dass die zwei Projekte eigentlich eines sein mussten. Die «Augmented Reality»-Veranstaltungen, die dann mit Hilfe unter anderem des Migros-Kulturprozentes 2013 mit viel Aufwand an diversen Orten der Schweiz stattfanden, waren zugleich Test- und Entwicklungslabor für Figuren und Situation des künftigen Films. Das gesamte Projekt heisst übrigens «Der Polder», der Film bloss noch «Polder».
Wider die Förderprinzipien
Es ist einerseits diese Entwicklungssituation, welche Polder von vielen ähnlich gelagerten Filmen unterscheidet. Die gleichzeitige Entwicklung diverser Elemente zusammen mit den Usern über einen längeren Zeitraum hinweg widerspricht allen gängigen Förder- und Finanzierungsprinzipien.
Diese laufen noch immer entlang von festen Stationen wie Drehbuchentwicklung, Drehbuchförderung, Projektentwicklung, Projektfinanzierung oder Auswertung ab.
Die Game-Industrie hat sich hingegen längst von diesem Modell gelöst: Alles muss von Anfang an finanziert werden, Konzepte dürfen sich weiterentwickeln, Ziele können sich verändern.
Ein kleiner Schritt voraus
Auch uns, dem Publikum, sind die «Polder»-Macher mit dem Film einen kleinen, aber entscheidenden Schritt voraus. Diesen Vorsprung braucht es, um zu überraschen.
Der Film beginnt nur milde verwirrend und entpuppt sich dann sehr schnell als klassisches, fast linear erzähltes «Point and Click Adventure». Ryuko muss Dinge finden und Rätsel lösen.
Ausflüge in virtuelle Zonen, in denen sich auch Marcus tummelt, wechseln ab mit der aktuellen Erzählzeit und Rückblenden in die Start-up-Zeit des Unternehmens.
Japan-Chic und Swissness
Die Ästhetik des Films und der Gamewelt trägt dem allgemeinen Retro-Trend Rechnung. Das hilft nicht nur beim Erzeugen von Vertrautheit mit Aspekten dieser Welten, sondern nimmt dem Ganzen auch noch seinen Science-Fiction-Charakter.
Zwischen Japan-Chic und augenzwinkernder Swissness ist so nicht nur ausstatterisch eine riesige Spielwiese entstanden.
Aber das alleine würde ja nicht ausreichen. Darum wechselt der Film nach ziemlich genau einer Stunde die Realitätsebene auf erwartbare, aber doch verblüffend konsequent durchdachte Weise.
Und am Ende noch einmal, schockartig und düster. Mehr soll hier nicht verraten werden.
Endlich im Kino
Jetzt kommt «Polder» fast zwei Jahre nach seiner Premiere am Neuchâtel International Fantastic Film Festival NIFFF endlich ins Kino. Damit haben Produzenten und Verleih hoch gepokert.
Aber mit der überraschenden und globalen «Pokémon Go»-Welle dieses Jahres ist das Konzept der «Augmented Reality» beim breiten Publikum angekommen.
Das dürfte nun auch dem Film «Polder» zu Gute kommen. Schliesslich erzählt er genau davon, wo das alles hinführen könnte.
Kinostart: 1. September 2016.