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Carla Juri als Paula
Legende: Die Kunst von Paula Modersohn-Becker eckt an: Rilke ist von seinem Porträt wenig angetan. Filmcoopi

Filmbiographie Carla Juri in «Paula»: Kunstgeschichte mit Lust und Ironie

Die Schweizerin spielt die Malerin Paula Modersohn-Becker. Ebenfalls stark in «Paula»: Joel Basman.

Die erste Einstellung zeigt ein hochformatiges Bild von hinten, gehalten von zwei Händen. Die Frau, die dahinter auf dem Sofa sitzt, klappt das Bild wie eine Zugbrücke herunter und nimmt dabei eine väterliche Standpauke entgegen.

Sie ist ein fröhliches Biest, diese Paula Becker. Eine junge Frau mit Ambitionen jenseits der bürgerlichen Laufbahn, die sich ihr Vater für die 24-jährige Tochter gewünscht hätte. Paula will malen. Nicht etwa Aquarelle mit Wiesenblumen, sondern richtig und wild, in Worpswede, der kleinen Künstlerkolonie im Teufelsmoor bei Bremen.

Paula erschreckt die Akademiemaler

In Worpswede verdienen sich erfolgreiche Künstler wie Fritz Mackensen oder Otto Modersohn etwas dazu, indem sie jungen Damen gegen deren Langeweile das dekorative Pinseln beibringen. Dass eine Frau ernsthaft malen könnte, das hält insbesondere Mackensen für absurd.

Paula Modersohn-Becker war eine der ersten eigenständigen Malerinnen der Moderne. Ihre auf jeden Naturalismus verzichtenden Bilder erschreckten die postromantischen Akademiemaler.

Es wäre ein Leichtes gewesen, den vielen Filmen über zu Lebzeiten verkannte Künstler eine weitere romantisierende Geniekult-Blüte hinzuzufügen.

Entschlossene Fröhlichkeit

Zum Glück haben Christian Schwochow und seine Drehbuchautoren Stefan Kolditz und Stephan Suschke klar entschieden, dass der ungewöhnlichen Frau auch ein ungewöhnlicher Film gebührt.

In Carla Juri haben sie die Schauspielerin gefunden, welche von der ersten Einstellung an anders wirkt. Ihre Paula reagiert auf Zweifel an ihrer Eigenständigkeit nicht mit Trotz oder Wut, sondern mit entschlossener Fröhlichkeit. Sie ist verspielt und zielsicher. Sie weiss genau, was sie will.

Carla Juris Paula ist Pipi Langstrumpf, Ronja Räubertochter, ein spitzbübischer Kobold. Carla Juri gibt der Frau eine Ausstrahlung, die packt und irritiert. Ihr Charme ist furchtlos und offen. Da ist keine Spur jenes Harmoniebedürfnisses oder gar der Unterwürfigkeit, welche die Männer erwarten.

Paulas heftige Pinselstriche

Schwochows Film fährt alles auf, was ein Künstlerfilm bieten kann. Er zeigt die Entstehung von Bildern, die man kennt, er stellt romantische Nebelwiesen nach, kadriert die Moorlandschaft, lässt Mackensen den Macker machen.

Aber Schwochow tut das mit spielerischem Ernst, mit eingebautem Grinsen, mit leisem Spott manchmal. So, wie Paula malt: Mit heftigen Pinselschlägen, absoluter Entschlossenheit auf der Leinwand und gleichzeitiger Verspieltheit in der Situation.

Paula heiratet schliesslich Modersohn, doch die Ehe bleibt unglücklich und unvollzogen. Nach fünf Jahren folgt sie dem befreundeten Rainer Maria Rilke (Joel Basman) nach Paris.

Kunstgeschichte, aber verspielt

Mit Paulas Ankunft in Paris wird der Film wieder zur Spielwiese für Schwochow und die Möglichkeiten des Kinos. Die Strassenszenen bei ihrer Ankunft wirken wie hochverdichtete Toulouse-Lautrec-Backdrops. In einer Bar stösst sie auf die von Rodin in den Wahnsinn getriebene Camille Claudel. Schliesslich führt Paulas lokaler Lover die mittlerweile etwas verzweifelte, weil mittellose Malerin in eine Ausstellung mit Cézanne-Bildern, wo sie sich endlich verstanden fühlt.

Eine Frau und ein Mann liegen umschlungen in einem Bett
Legende: Nach fünf Jahren in unglücklicher Ehe flieht Paula Modersohn-Becker nach Paris. Filmcoopi

Das ist zwar durchgepeitschte Kunstgeschichte, wirkt aber nicht angestrengt, sondern einmal mehr fröhlich verspielt, ein spöttisches, liebevolles Orgeln auf der Traditions-Klaviatur des Künstlerfilms.

Gedicht statt Geld

Überhaupt ist das die grosse Stärke von Paula: Der Film ist romantisch, ohne zu romantisieren. Er ist dramatisch ohne Drama, er bringt Szene für Szene mit Lust, Zuversicht und einem selbstironischen Lächeln. Carla Juri lässt ihre Paula manchmal unvermittelt kippen, einmal sogar richtig ins bösartige, ganz überraschend.

Manchmal ist der Witz auch sehr direkt und augenzwinkernd selbstbewusst. Wenn Joel Basmans Rilke seiner längst von ihm getrennt lebenden Frau Clara statt des versprochenen Geldes aus der Brieftasche das Original seines «Panthers» zusteckt und die bloss wütend den Titel liest, dann spiegelt diese Miniatur in Sekunden das Kerndrama des Films. Und der Kunst.

Kinostart: 22. Dezember 2016

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