Zwillinge und ihre Persönlichkeitsdynamik haben schon manchen Thriller und manchen Horrorfilm belebt. François Ozon beruft sich für seinen neuen Thriller auf eine Geschichte von Joyce Carol Oates. Aber es gibt so viele Variationen zu dem Thema, dass die Quelle kaum eine Rolle spielt: Jeder neue Film um das Doppelgängermotiv ist zwangsläufig ein Spiegel all seiner Vorgänger.
Hauptdarstellerin Marina Vacth kennen wir bereits aus Ozons «Jeune et jolie» von 2013. Damals spielte sie eine Gymnasiastin, die sich prostituiert. Jetzt ist sie eine junge Frau.
Chloé trifft Paul
In einer der ersten Einstellungen von «L’amant double» schneidet sie sich die langen Haare ab. Sie wird zur überaus schönen «garçonne» mit dem Namen Chloé.
Chloé sucht eine Frauenärztin auf, sie klagt über Bauchschmerzen. Die Gynäkologin findet keine physische Ursache und schickt sie zum Psychiater. Der Weg zu diesem führt über eine grosszügige Rundtreppe in einer gross geschwungenen Spirale nach oben. Dort erwartet sie der blonde Arzt Paul mit der modischen Brille und dem gewinnenden Lächeln (Jérémie Renier).
Wer ist Paul?
Der Psychiater hört ihr zu, hilft ihr, sich zu beruhigen. Sie findet Arbeit als Museumsaufpasserin, die beiden verlieben sich und ziehen zusammen. Soweit, so unprofessionell.
Dann aber findet Chloé in einem Umzugskarton einen Pass, in dem ihr Paul einen anderen Nachnamen trägt. Er erklärt das mit Veruntreuungen, die sein Vater begangen habe. Deshalb habe er den Namen seiner Mutter angenommen.
Wenig später sieht Chloé Paul in der Stadt vor einem Haus mit einer anderen Frau. Sie spricht ihn am Abend darauf an. Er bestreitet aber, das Spital verlassen zu haben. Damit ist das Spiel um mögliche Doppelgänger und Zwillinge eröffnet. Und die originelle Frage dieses Films ist bald: Wer ist hier Zwilling?
Wo man hinschaut, alles ist doppelt
Ozon tobt sich aus mit seinen cinéastisch-cinéphilen Ästhetizismen. Das Motiv der Verdoppelung hat es ihm besonders angetan: Spiegel, wohin die Kamera blickt, Spiraltreppen in Auf- und Untersicht, gegenläufig oder läufig.
Gleiches gilt für die Figuren in ihren zeitweiligen Ausprägungen. Wilde Charaktersprünge, heftiger Sex vs. Kuschelromantik, lebende Katzen, tote Katzen und ausgestopfte Katzen. Ozon greift in die Vollen – mit allem.
Ironische Distanz zur Handlung
Dabei gibt es raffinierte Kniffe wie sprunghafte Schnitte innerhalb des Raumes, Perspektivenwechsel, die sich als Spiegelbilder entpuppen und Kamerabewegungen, die thrillermässige Unruhe aufkommen lassen.
Gleichzeitig wird auch augenzwinkernd gespielt mit den Rollen beim Sex. Chloé darf sich gar ein Dildo-Geschirr umschnallen und ihren Paul einvernehmlich von hinten penetrieren. Das ist im Übrigen weder peinlich noch penetrant, weil es Ozon immer wieder gelingt, eine ironische Distanz zum ganzen Geschehen aufzubauen.
Ozon, der Puppenspieler
François Ozon weiss genau, was er tut, und er weiss, dass auch sein Publikum das weiss. Wer mit so vielen Filmen spielt, mit all diesen Motiven und Bildern und Thriller-Klischees, muss garantieren können, dass es Spass macht und nicht langweilt. Das kann François Ozon.
Sogar auf der vulgärpsychologischen Ebene, auf der die Erklärungsmuster des Films angesiedelt sind, blitzen immer wieder Ironielichter auf. Der Film verkommt aber weder zur Parodie noch zum Klamauk.
«L’amant double» ist eine weitere Fingerübung des Mannes, der mit dem Kino zu spielen versteht wie ein Puppenspieler mit seinen Marionetten. Kein grosser Film, aber ein prächtiger. Kein epochaler Thriller, aber ein smarter. Kein bahnbrechender Horror, aber effizienter und eleganter Hochglanz-Grusel. Das ist perfektes, vergnügliches Handwerk: altmodisches Kino auf der Höhe der Zeit.