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Filmfestival Locarno «Das ist eine Solidaritätserklärung mit den Filmemachern»

Heute wird das Locarno Filmfestival eröffnet. Zumindest ein bisschen. Wegen COVID-19 gibt es dieses Jahr eine reduzierte Ausgabe. Filme werden online gezeigt und vereinzelt auch in Kinos in Locarno. SRF-Filmredaktor Michael Sennhauser findet: Locarno hat auf die schwierigen Voraussetzungen geschickt reagiert.

Michael Sennhauser

Filmredaktor, SRF

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Michael Sennhauser ist Filmredaktor bei SRF. Er gewann für sein Schaffen den Greulich Kulturpreis 2016.

SRF: Funktioniert die Mischung aus Online und Kino beim Filmfestival Locarno?

Michael Sennhauser: Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Es haben auch schon andere Festivals kurzfristig auf eine Online-Ausgabe umstellen müssen. Locarno ist nun die erste, die hybrid funktioniert.

Die Verantwortlichen, vor allem Direktorin Lili Hinstin, hatten knapp drei Monate Zeit, das Programm umzubauen. Als sich dann zeigte, dass einzelne Kinovorstellung möglich sind, haben sie auch eine lokale Version auf die Beine gestellt.

Das ist eine Gratwanderung, ein Experiment. Die Verantwortlichen des Festivals haben versucht, sich etwas einfallen zu lassen.

Die Begegnungen zwischen den Filmemacherinnen und Filmemachern und dem Publikum fallen dieses Jahr weg. Wie sehr wird das das Festival prägen?

Das ist vielleicht das grösste Problem für Locarno. Das Festival besteht im Herzen aus den Vorführungen auf der Piazza Grande, wo bis zu 8000 Leute einen Film sehen, wo Filmemacher und die Stars auftreten. Dieser direkte Kontakt entfällt komplett.

Locarno 2020

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Das Locarno Filmfestival findet dieses Jahr unter dem Titel «For the Future of Films» mit einer reduzierten Ausgabe statt. Vom 5. bis zum 15. August werden Filme online und in Kinos vor Ort gezeigt. Die Filme können auf der Website des Filmfestivals gestreamt werden, wo auch andere Online-Veranstaltungen stattfinden.

Die Kinos, in denen Filme gezeigt werden, dürfen nicht ganz besetzt werden. Es werden nur ein paar hundert Leute in den einzelnen Vorstellungen sein. Locarno versucht, lokal präsent zu sein und mit der Online-Ausgabe gleichzeitig auch international.

Wie attraktiv finden Sie diese Lösung?

Es gab etliche Festivals, die ihr Programm ins Internet verlegt haben. Am Anfang war es relativ spannend zu sehen, was tatsächlich machbar ist.

Locarno hat seine Mittel durchaus geschickt eingesetzt.

Man kann Filme problemlos übers Internet streamen, man kann auch Diskussionsrunden übers Internet machen. Nur sehen die halt aus wie Zoom-Sitzungen. Die tatsächliche Kernkompetenz eines Festivals, Menschen zusammenzubringen und überraschende Begegnungen herbeizuführen, kann man so nicht aufrechterhalten. Das funktioniert nicht.

Familie mit drei Kindern sitzt am Rand der leeren Piazza Grande
Legende: Hier sitzen sonst 8000 Filmfans: Die Piazza Grande am Tag vor der Festivaleröffnung. Keystone / PABLO GIANINAZZI

Eine Änderung gibt es auch beim Wettbewerb. Ausgezeichnet werden Filme, deren Produktion wegen der Pandemie abgebrochen werden musste. Sie erhalten Produktionsbeiträge von bis zu 70 000 Franken. Das ist sicherlich interessant für die Filmemacher. Aber ist es das auch für das Publikum?

Dieser umgestaltete Wettbewerb wird nicht der Publikumsrenner des diesjährigen Festivals. Darum geht es aber auch nicht. Locarno hat sich immer als Festival der Filmemacher verstanden. Das ist jetzt ein Versuch, Solidarität zu zeigen mit den Filmemachern, denen ja auch einiges bachab gegangen ist.

Der Wettbewerb gibt einen Teil der Preisgelder an Filmproduktionen, von denen die Jury das Gefühl hat, aus denen wird tatsächlich etwas. Das ist eine offizielle Solidaritätserklärung des Festivals mit den Filmemachern.

Die Freude am Kino, Entdeckungen auf der Leinwand – das gibt es in diesem Jahr aber etwas weniger.

Ja. Das gibt es für die Leute, die jetzt in Locarno sind und sich einzelne Filme anschauen. Für das internationale Publikum bleibt tatsächlich nicht wahnsinnig viel von diesem Festival übrig. Aber das gilt für alle anderen Festivals auch.

Locarno dürfte es mit diesem Mix gelingen, sich nicht ganz von der Landkarte verdrängen zu lassen. Es ruft sich als das grosse, internationale Schweizer Filmfestival international in Erinnerung. Da hat Locarno seine Mittel durchaus geschickt eingesetzt.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

Sendung: Radio SRF 4 News, 5.8.2020, 07.20 Uhr ; 

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