«Warum hängen hier keine Brüder an der Wand?» fragt Buggin' Out in Spike Lees «Do the Right Thing» von 1989. Der junge Mann ist empört, denn Sal's Pizzeria lebt eigentlich vor allem von der afroamerikanischen Klientel des Quartiers. Und trotzdem hängen da nur Fotos von weissen Film- und Baseball-Stars.
Mit der restaurierten Fassung von Spike Lees 30 Jahre altem Meisterstück über den Basis-Rassismus der US-Gesellschaft hat in Locarno die diesjährige Retrospektive auf der Piazza Grande begonnen.
Beginn vor hundert Jahren
Der älteste Film in der von Retrospektive «Black Light» ist noch einmal 70 Jahre älter: 1919 versuchte der schwarze Filmemacher Oscar Micheaux mit «Within Our Gates» dem Rassismus des frühen Hollywood-Kinos, insbesondere jenem von D.W. Griffiths «Birth of a Nation» von 1915, etwas entgegenzuhalten.
Die Geschichte einer engagierten afroamerikanischen Frau, die versucht, eine Schule für unterprivilegierte schwarze Kinder zu retten, war ein typisch «unmögliches» Projekt im kommerziellen Kino der Zeit.
Es war aber brandaktuell, da viele aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrte afroamerikanische Soldaten ihre gesellschaftliche Diskriminierung nicht mehr einfach hinnehmen mochten.
Schwarzlicht zeigt Weisses
Der Retrospektiven-Titel «Black Light» ist wunderbar mehrdeutig. Abgesehen vom Paradox des «schwarzen» Lichtes ist das auch der englische Name für das Ultraviolett-Licht jener Lampen, die Weiss besonders weiss erscheinen lassen.
Kurator Greg de Cuir jr. macht keinen Hehl daraus, dass fast die Hälfte der Filme der Retrospektive aus den USA stammen. Aus dem einfachen Grund, dass dort – nicht zuletzt aus kommerziellen Gründen – eben schon früh versucht wurde, die afroamerikanische Bevölkerung abzubilden oder einzubinden.
Die andere Hälfte der nicht ganz 50 Filme allerdings kommt aus der halben übrigen Welt. Aus Frankreich und Brasilien, wie Marcel Camus’ «Orfeu negro» von 1959. Aus Jamaica wie der Reggae-Klassiker «The Harder They Come» von 1972, aus England und der Schweiz, aus Kuba oder gar aus Kanada.
Bloss nicht aus Afrika. Denn Greg de Cuir jr. spürt jenen schwarzen Menschen nach, die «ohne Nachfrage in eine (andere) Zivilisation geworfen wurden».
Eine Retrospektive mit Überraschungen
Gleichzeitig aber will auch diese Retrospektive kein filmisches Ghetto bilden. Nicht die Filmemacher müssen «schwarz» sein, sondern die Filme. Darum finden sich auch Überraschungen.
«White Dog» von 1982 zum Beispiel. Der Film des weissen Thriller- und Actionspezialisten Samuel Fuller erzählt die Geschichte eines Hundes, der von seinem früheren Besitzer darauf trainiert wurde, dunkelhäutige Menschen anzufallen. Oder «Ghost Dog – The Way of the Samurai», Jim Jarmuschs bedächtiger Film von 1999.
Das «Black Light»-Konzept ist bestechend. Da er sich auf Langfilme konzentriert, und damit auf das «kommerzielle» Filmschaffen (und nicht etwa auf Kurz- oder Experimentalfilme), gelingt ihm mit diesen nicht ganz 50 Filmen eine unvollständige, aber umfassende Bestandesaufnahme dessen, was möglich war und was auf Interesse stiess.
Und vor allem dessen, was sich als relevant erwiesen hat. Dieser Retrospektive dürfte es gelingen, alle Sinne für ihre vielfältige, komplexe Thematik zu schärfen und dabei in manchem Kopf noch lange nachzuhallen.