Die 72. Ausgabe des Locarno Festivals ist die erste unter der künstlerischen Leitung von Lili Hinstin. Nach dem Wechsel von Carlo Chatrian an die Berlinale übernahm – für viele überraschend – die französische Kulturmanagerin. Wie ihr Vorgänger gilt Hinstin als cinephil. Zuvor hatte sie das Festival von Belfort geleitet, das wie Locarno der Retrospektive eine grosse Bedeutung beimisst.
Ein Blick ins Programm der diesjährigen Ausgabe offenbart keinen radikalen Kurswechsel. Die grössten Unterschiede sind im Piazza-Programm auszumachen: Das ist weniger zugänglich als zuletzt unter Chatrian. Das heisst: Die 8'000 Zuschauer bekommen mehr Arthouse und weniger Blockbuster zu sehen. Der einzige grosse Hollywood-Streifen auf der Piazza ist «Once upon a Time… in Hollywood».
Wer geht über den roten Teppich?
Auch wenn sein Film auf der Piazza gezeigt wird: Quentin Tarantino wird wohl nicht in Locarno auftauchen. Aber es werden andere Hollywood-Grössen erwartet: Hillary Swank wird mit dem «Leopard Club Award» ausgezeichnet, der vom Gönnerverein des Festivals vergeben wird.
Die Amerikanerin ist doppelt oscarprämiert: Sowohl für «Boys Don't Cry» als auch für «Million Dollar Baby» wurde sie als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Beide Filme sind in Locarno zu sehen.
Die Stars in Locarno
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Bild 1 von 5. Den Glanz von Hollywood brint dieses Jahr Hilary Swank ins Tessin: die zweifache Oscar-Preisträgerin erhält in Locarno den «Leopard Club Award». Bildquelle: KEYSTONE / AP Invision / TAYLOR JEWELL .
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Bild 2 von 5. Am gleichen Abend wie Hilary Swank ist ein weiterer US-Star auf der Piazza zu Gast: Joseph Gordon-Levitt zeigt den Film «7500» - eine deutsch-österreichische Koproduktion über eine Flugzeugentführung. Bildquelle: Locarno festival / Pathé Films.
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Bild 3 von 5. Viele kennen sie als die «rote Priesterin» in «Game of Thrones»: In Locarno zeigt die niederländische Schauspielerin Carice van Houten ihren neusten Film «Instinct», in dem sie eine Psychologin spielt, die einen Vergewaltiger therapieren soll. Bildquelle: Locarno Festival.
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Bild 4 von 5. Der Südkoreaner Song Kang-ho wird mit dem Schauspielpreis «Excellence Award» ausgezeichnet. Derzeit ist er in «Parasite», dem Siegerfilm von Cannes, zu sehen. Dessen Regisseur Bong Joon-ho ist ebenfalls in Locarno zu Gast. Bildquelle: Locarno Festival.
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Bild 5 von 5. In Locarno gibt's nicht nur ernstes Kunstkino: Regisseur John Waters bringt Spass, Kitsch und Trash ans Festival. Bildquelle: KEYSTONE / AP / Kathy Willens .
200 junge Kreative in der Kaserne
Lili Hinstin betont die Wichtigkeit der Jugendförderung. Diese hat sich Locarno schon seit Langem auf die Fahnen geschrieben: Das Ausbildungsprogramm «Locarno Academy», das junge Filmemacherinnen, Kritiker und Branchenvertreterinnen fördert, feiert heuer sein 10-jähriges Bestehen.
Neu gibt es das «Base Camp»: 200 junge Kreative werden für 10 Tage in der ehemaligen Militärkaserne in Losone untergebracht. Die 18- bis 30-Jährigen dürfen das Festival besuchen, nehmen an Workshops teil – und sollen eigene Arbeiten präsentieren.
Das Projekt wird als weitgehend ergebnisoffenes Ideen-Labor angekündigt, das nun für die kommenden Jahre geformt werden soll.
Die wichtigsten Filme
Aus 4000 Filmen aus der ganzen Welt haben Lili Hinstin und ihr Team 120 Werke ausgesucht, die in Locarno gezeigt werden. 17 Filme gehen im internationalen Wettbewerb ins Rennen um den goldenen Leoparden.
Für das Publikum steht eher das Programm auf der Piazza Grande im Mittelpunkt. Hier verspricht das Programm etwas mehr schwerere Kost als in den Vorjahren. Lustig wird es erst nach Mitternacht: Dann laufen in der Reihe «Crazy Midnight» eigenwillige Komödien und Actionfilme.
Die wichtigsten Filme
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Bild 1 von 6. Kurz vor dem Schweizer Kinostart ist Quentin Tarantinos «Once Upon a Time... in Hollywood» in Locarno zu sehen. Filmfans erwartet eine lustvoll verspielte Reise durch die Filmindustrie. Bildquelle: Locarno Festival / Sony Pictures.
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Bild 2 von 6. Die Retrospektive widmet sich dieses Jahr dem Black Cinema. Eröffnet wird die Reihe «Black Light» noch vor dem Festival mit einer restaurierten Fassung von Spike Lees «Do the Right Thing» noch vor dem offiziellen Festivalstart auf der Piazza Grande. Bildquelle: Locarno festival / Park Circus.
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Bild 3 von 6. Eröffnet wird das Festival mit dem italienischen Film «Magari». Er erzählt von drei Geschwistern, die ihren Vater in Rom besuchen und sich dabei an ihre zerrüttete Kindheit erinnern. «Magari» ist das Debut der italienischen Regisseurin Ginevra Elkann. Bildquelle: Locarno festival / Xenix .
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Bild 4 von 6. Auf der Piazza Grande gibt es auch schwere Kost: Der Franzose Boris Lojkine erzählt in «Camille» von einer jungen Fotografin, die den Bürgerkrieg in der zentralafrikanischen Republik dokumentiert. Bildquelle: Locarno Festival / trigon-film.
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Bild 5 von 6. Seit dem Brand besteht erhöhtes Interesse an der Notre-Dame. Eine französische Komödie holt die Pariser Kirche nun auf die Piazza Grande: In «Notre Dame» soll eine Architektin den Platz vor der Kirche sanieren. Bildquelle: Locarno festival / Frenetic Films.
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Bild 6 von 6. Der Film «Fi al-thawra» zeigt das Leben im syrischen Bürgerkrieg. Er stammt von einem anonymen Regie-Kollektiv, das der Welt das alltägliche Leben in Syrien zeigen will. Bildquelle: Locarno festival / The Abounaddara Collective.
Das Schweizer Filmschaffen in Locarno
«Es sollen qualitative Kriterien zählen, keine diplomatischen», sagte Lili Hinstin bei der Vorstellung des Festivalprogramms. Gemeint ist damit: Es gibt keine Sonderbehandlung für Schweizer Filme. Anders als in den Vorjahren ist beispielswiese im Piazza-Hauptprogramm kein einziger Schweizer Langfilm zu sehen.
Aber natürlich sind in Locarno doch einige Schweizer Filme zu sehen. Mit «O Fim do Mundo» des Schweiz-Portugiesen Basil da Cunha hat es gar eine Schweizer Produktion in den Wettbewerb geschafft.
Die grösste Ehrung für den Schweizer Film gibt es aber am 16.8.: dann wird der «Pardo alla Carriera» an Fredi M. Murer verliehen. Den Schweizer Filmemacher verbindet eine lange Geschichte mit Locarno: Bereits 1967 zeigte er in hier den Film «Chicorée». Seither war er immer wieder in Locarno – 1990 zum Beispiel, als er in der ersten Ausgabe der «Semaine de la critique» den Film «Der grüne Berg» zeigte. Seinen bislang grössten Auftritt hatte er aber sicherlich 1985, als «Höhenfeuer» mit dem goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde.
Anlässlich der Auszeichnung für sein Lebenswerk werden vier von Murers Filmen in neu restaurierten Fassungen in Locarno gezeigt. Darunter selbstverständlich auch «Höhenfeuer».
Schweizer Filme in Locarno
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Bild 1 von 6. Höhepunkt einer langjährigen Verbundenheit: Regisseur Fredi M. Murer wird in Locarno für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Bildquelle: KEYSTONE / MARTIAL TREZZINI .
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Bild 2 von 6. Samirs Thriller «Baghdad in my Shadow» wird ausser Konkurrenz gezeigt. Im zweiten Spielfilm des Zürchers steckt viel Zündstoff: Er handelt von der Irakischen Diaspora in London, es geht um Homosexualität, Salafismus, Folter und Gewalt gegen Frauen. Bildquelle: Locarno festival / Dschoint Ventschr.
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Bild 3 von 6. «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» von Natascha Beller wird als Mitternachtsfilm auf der Piazza gezeigt: Beller ist bisher als Autorin aufgefallen (unter anderem für die Comedy-Sendung «Deville»), nun zeigt sie ihren ersten Langfilm: eine Komödie über das Kinderkriegen. Bildquelle: Locarno Festival / Cineworx.
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Bild 4 von 6. Auch bei ihnen geht es um Kinder: Autorin Ruth Schweikert und Filmemacher Eric Bergkraut. Ihr Low-Budget-Film «Wir Eltern» ist eine Art Homestory, bei der auch die drei Söhne des Paares mitspielen. Bildquelle: Locarno festival / p.s.72 productions.
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Bild 5 von 6. Der Dokumentarfilm «Shalom Allah» befasst sich mit Menschen, die zum Islam konvertieren. Der Filmemacher David Vogel setzt sich dabei auch mit seiner eigenen religiösen Herkunft auseinander. Bildquelle: Locarno festival / First Hand Films.
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Bild 6 von 6. «Another Reality» zeigt das Leben von Gangmitgliedern in Deutschland. Den Dokumentarfilm hat der Zürcher Noël Dernesch zusammen mit dem Deutschen Olli Waldhauer gedreht. Bildquelle: Locarno festival / Elemag Pictures.
Sendung: Tagesschau, 7.8.2019, 19.30 Uhr