Der Lagerkoller kommt nach exakt der Hälfte des Festivals. Ich wache mit einem heftigen Kater auf, der Tag kann mir gestohlen bleiben. Es ist Mittag. Zwei Betten neben mir schnarcht ein Zimmergenosse.
Ich trete in den endlosen, leeren Gang mit durchnummerierten Türen. Sie führen in zahllose weitere Schlafsäle, aus denen ab und zu eine müde Gestalt schlüpft. Dem Gang entlang reihen sich steinerne Waschbecken.
Ich löse in einer Pet-Flasche eine Kopfwehtablette auf. Wieso habe ich Idiot mich auf diese Aktion eingelassen? Gibt's einen Notausgang?
200 Leute, 10 Tage
Seit Mittwoch bin ich im Basecamp am Locarno Filmfestival. Basecamp, das heisst: 200 junge Kreative wohnen die 10 Festivaltage in der ehemaligen Militärkaserne in Losone, 15 Busminuten von Locarno entfernt.
Die Basecamperinnen und Basecamper kommen aus aller Welt: Grace aus China, Felix aus Deutschland, Johanna aus Kanada, Lada aus Russland oder Henrique aus Portugal. Und viele kommen aus der Schweiz. Sie sind Regisseurinnen, Drehbuchautoren, Fotografinnen, Festivalorganisatoren, Filmkritikerinnen.
Die meisten von ihnen könnten es sich normalerweise nicht leisten, fünf oder gar zehn Tage in Locarno zu verbringen. Das wäre zu teuer. Deshalb hat das Festival dieses Jahr das Basecamp ins Leben gerufen. Man will mehr junge Leute ans Festival holen.
Los geht's erst nachts
Für 200 Franken kriegen sie im Basecamp ein Bett im 9er-Zimmer, Frühstück und einen Festivalpass. Tagsüber können sie am Festival Filme schauen. Nachts dann erwacht das Camp zum Leben: Es gibt Diskussionsrunden, Performances, Workshops, es wird geredet und getanzt.
Ruhe kehrt erst in den frühen Morgenstunden ein. Es sind lange und anstrengende Tage. Mein Lagerkoller kommt daher wenig überraschend – und ist doch schnell wieder verflogen. Denn die positive Energie hier im Camp ist beeindruckend.
Die Leute sind offen, interessiert, erzählen sich von ihren Projekten. Sie sind begeistert, dass sie am Filmfestival teilnehmen dürfen. Das ist ansteckend.
Output kommt nur aus der Künstlergruppe
Es war denn auch die Hoffnung der Organisatoren, dass sich diese Energie im Basecamp in kreativen Output entlädt. 200 junge Kreative auf einem Haufen – da könnte in zehn Tagen ja einiges entstehen.
Diese Hoffnung hat sich nicht ganz erfüllt. Es sind zwar zwei Künstlergruppen aktiv. Sie gestalten im Basecamp Installationen, Fotoausstellungen, Performances und eine Beilage für das offizielle Festivalmagazin. Dafür wurden sie allerdings auch spezifisch ausgewählt und in die Kaserne geholt.
In der Kaserne wären Räumlichkeiten und viele kreative Menschen vorhanden, mit denen man etwas gestalten könnte. Doch die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist absorbiert vom reichhaltigen Programm des Filmfestivals und den vielen Leuten, die sie hier kennenlernen.
Was entsteht nach dem Camp?
In seinem Gründungsjahr ist das Basecamp also vor allem eine aufregende Jugendherberge. Aber wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben Kontakte ausgetauscht und Freundschaften geschlossen. Gut möglich also, dass im Nachhinein Kreatives entsteht, das seinen Ursprung im Basecamp Losone hatte.
Und eines steht fest: Wenn es darum geht, 200 junge Botschafterinnen und Botschafter zu finden, die nun wieder in die Welt rausgehen und vom Locarno Festival erzählen: Dieses Ziel ist erreicht.