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Scarlett Johansson hinter Leuchtstreifen.
Legende: Wird durch Drogen zur tötenden Wunderfrau: Scarlett Johansson als Lucy. Universal Pictures International

Filmfestival Locarno Bessons «Lucy» – ein Kasperlitheater für Ungläubige

Bei einem Drogentransport läuft ein Teil des Stoffes im Körper der Studentin Lucy aus und macht sie zur Wonderwoman mit Killerinstinkt. Hirnrissig, aber gut. Ein Film für Freunde der Clip-Kultur. Ein echter Besson eben.

Scarlett Johansson ist hinreissend in der Rolle, die einst für Angelina Jolie konzipiert wurde. Als junge Frau, deren Intelligenz und Fähigkeiten explodieren, bringt sie eine Spur Identifikationspotential in die Rolle ein. Gerade so viel, um Bessons hirnrissige Achterbahn vom Universum der Marvel-Superhelden abzugrenzen.

Am Anfang der Drehbuchidee stand die (wissenschaftlich nicht haltbare) These, der Mensch nutze nur einen kleinen Prozentsatz seiner Hirnkapazität – und die hypothetische Frage, was denn möglich wäre, wenn die theoretische Kapazitätsgrenze erreicht würde.

SRF am Filmfestival Locarno

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Im Radio:

SRF 2 Kultur und SRF 4 News sind während des Filmfestivals gemeinsam vor Ort: «Live aus Locarno» mit aktuellen Filmen und prominenten Gästen – vom 3. bis 11. August, Mo-Fr, um 11 Uhr live auf SRF 4 News und 12 Uhr auf SRF 2 Kultur.

Im TV:

«Filmfestival Locarno 2017 - Das Spezial» am 9. August um 22.25 Uhr auf SRF 1.

Schneller als das Denken

Er habe mehr als zehn Jahre gebraucht, nur schon für den ersten Entwurf des Drehbuches, behauptet Besson im Interview lachend: Seine Intelligenz habe offensichtlich nicht ausgereicht.

Also hat der geniale französische Clip-Springer sein grösstes Talent in die Waagschale geworfen: seine Fähigkeit, packende Bilder und Sequenzen zu konzipieren, welche dem Denken zuvorkommen.

Wenn Scarlett Johansson nach den anfänglichen Misshandlungen in einer Zelle in Taipeh plötzlich ihre neuen Fähigkeiten entdeckt und ungerührt aus allen Rohren schiessend Männerleichenhaufen liegen lässt, dann ist das ein typischer Besson-Moment: mehr Trailer-Kick als Handlungsmotor, aber emotional wohl vorbereitet als orgastische Entladung vorher aufgestauter Aggression.

Böse Frauen: Bessons Muster

Schöne Frauen mit Kanonen gehören zu Luc Bessons ewig adoleszentem Universum. In seinem ersten Grosserfolg «Subway» von 1985 zog Isabelle Adjani den Revolver aus der Handtasche, in «Nikita» von 1990 wurde Anne Parillaud zur unwiderstehlichen Profimörderin ausgebildet. Vier Jahre später brachte Berufskiller «Léon» (Jean Reno) in New York der gerade mal dreizehn Jahre alten Nathalie Portman das tödliche Handwerk bei.

Aber «Lucy» ist näher bei Bessons durchgedrehtem Comic-Opus-magnum «The Fifth Element» von 1996 als bei den früheren, in gut skizzierten sozialen Milieus angesiedelten Filmen.

Der Pakt mit dem Zuschauer

Da kann Morgan Freeman mit parodistischem Gusto seinen theoretisierenden Professor spielen so viel er mag: Seine Erklärungen dafür, was in Lucys Körper abläuft, sind etwa so plausibel wie jene von Hollywoods 50er-Jahre Professoren für das nuklear getriebene Wachstum von Riesenspinnen oder Lagunen-Mutanten.

Und sie sind genau so essenziel für den Film. Denn sie liefern nicht etwa das Plausibilitätsgerüst der Geschichte, wie man vermuten könnte, sondern die Schienen für den temporären «suspension of disbelief», den freiwilligen vorübergehenden Verzicht auf Unglauben.

Im Kino ist das ein wertvolles dramaturgisches Element, es ist der eigentliche Vertrag zwischen dem Erzähler und seinem Publikum, und die Betonung liegt auf temporär – für beide Seiten.

Kasperlitheater für Ungläubige

Lucy umringt von Männern.
Legende: Scarlett Johanssons Lucy überzeugt mit Identifikationspotential, trotz Überzeichnung. Universal Pictures International

Nähmen wir nämlich die Theorie der brachliegenden Hirnentwicklungs-Kapazität im Alltag ernst, wären wir bei L. Ron Hubbard und seiner Scientology-Sekte. Und nähmen wir Bessons orgiastischen Bildertaumel über die Länge seiner 90 Leinwandminuten hinaus ernst, wären wir bei Terrence Malick und den prätentiösen Weltsummierungen seines «Tree of Life».

Aber das Schöne an «Lucy» (und wohl auch an Besson mittlerweile doch etwas reiferem Alter von 55 Jahren) ist die Verspieltheit. Besson macht Kasperlitheater für Kino-Nostalgiker.

Lucy mag in ihrer rasenden Entwicklung zu einem gottähnlichen Wesen werden, zu einer weltumfassenden Entität gar. Aber das hindert Besson nicht daran, uns und sich immer wieder daran zu erinnern, dass er hier mit Figuren aus dem Koffer spielt, mit emotionalen Chiffren.

Wild montiert

Wenn die durchaus misstrauische Lucy zu Beginn des Films überredet werden soll, die Übergabe eines Drogenkoffers zu übernehmen, schneidet Besson den kurzen Clip einer Maus dazwischen, die sich einer Mausefalle nähert. Und wenn dann die Falle zuschnappt, dann reisst ein Gepard eine Gazelle.

Filmhinweis

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Kinostart Schweiz: 14. August 2014

Das ist näher bei den Cartoons von Tex Avery oder dem Bild der Männer mit der Säge über dem Kopf einer schnarchenden Comic-Figur, als bei der Pseudo-Wissenschaftlichkeit, welche der dozierende Morgan Freeman in den Film einbringt. Und damit eben ein klares Signal dafür, dass das Kasperli-Theater angefangen hat und dass wir uns dem jetzt bitte ergeben sollen für die ausgemachte Dauer.

Bewusste Ressentiments gegen Intellektuelle

«Lucy» ist nicht nur ein hirnrissiges Clip-Spektakel von beeindruckender Tischbomben-Wucht, sondern auch eine Parodie auf intellektuell-philosophische Kino-Demiurgen (Weltenbauer) wie Terrence Malick oder Stanley Kubrick.

Und damit natürlich auch eine Ausgeburt von Luc Bessons anti-intellektuellen Ressentiments. Dass er sich dessen mittlerweile durchaus bewusst ist, zeigt die Action-Sequenz, in der ausgerechnet jenes Pariser Universitätsquartier zerlegt wird, in dem er zuvor die Wissenschaftler getroffen hat, die ihm beim theoretischen Unterbau für das «Lucy»-Drehbuch geholfen haben.

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