In «Inimi Cicatrizate» («Vernarbte Herzen») wird ein junger Mann mit Knochentuberkulose in ein Sanatorium gebracht. Da lebt er, unter anderen Leidenden, jahrelang.
Die Patienten werden eingegipst, amputiert, punktiert, auf die Terrasse an die Meerluft geschoben. Sie leben miteinander, durcheinander. Und immer wieder mal stirbt einer oder eine von ihnen.
Dieser Zauberberg der vernarbten Herzen spielt in Rumänien. Im Film heisst der schwer kranke junge Mann Emanuel. Wie er in Wirklichkeit hiess, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Der vergessene Autor
Das Buch, auf dem der Film basiert, wurde von M. Blecher geschrieben, allgemein nimmt man an, das M. stehe für Max. Auf seinem Grabstein im jüdischen Friedhof, der vor dem Abspann zu sehen ist, steht ebenfalls nur «M. Blecher, 1909-1938».
Als Autor erreichte der jahrelang sterbenskranke Blecher zu Lebzeiten eine gewisse Bekanntheit. Aber nach seinem Tod ging die Erinnerung an ihn und seine Schriften in den Wirren des Nationalsozialismus und des späteren Kommunismus unter, bis «Vernarbte Herzen» 1970 in Rumänien neu aufgelegt wurde.
Geisterhafte Präzision
Regisseur Radu Jude setzt kurze Passagen aus dem Buch wie Zwischentitel vor schwarzem Hintergrund in seinen Film. Das Bildformat ist das klassische 4:3, zusätzlich noch verfremdet mit runden Ecken wie bei Super 8. Ausstattung und Kostüme, die Architektur des Sanatoriums, die zum Teil grotesk anmutenden Gerätschaften dagegen wirken historisch akkurat. Die Schauspieler geben ihren Figuren den zeitgemässen Look mit fast schon geisterhafter Präzision.
Natürlich ist das kein Zauberberg, auch wenn sich der Vergleich aufdrängt. Da sind viele Männer und Frauen, die meisten jung und gebildet (das Sanatorium ist ein teurer Ort) in einem gnadenlosen Schicksal vereinigt, zwischen von Zweckoptimismus strotzenden Ärzten, abgebrühtem Personal, und schwankend zwischen Fatalismus, morbidem Lebenshunger, erotischer Verzweiflung und ergebenem Abwarten.
Sanatorium als Droge
Emanuel findet sogar seine Madame Chauchat in der schönen jungen Solange. Sie ist genesen, taucht nun aber fast täglich im Sanatorium auf, weil der Ort zur Gewohnheit wird, zu einer Droge, wie einer der Männer sagt.
Aber wo Thomas Manns «Zauberberg» vor allem die gesellschaftsmetaphorische Komponente betont, und dies über alle Altersstufen und Lebensentwürfe hinweg, herrscht bei Blecher ein gefasst kühler, analytischer Ton vor.
Radu Jude grenzt seinen Film einmal sogar ganz wörtlich ab von Thomas Mann, wenn Emanuel klagt, Lungentuberkulose hätte doch wenigstens etwas Würdevolles, Genialisches. Das wäre ein Sterben in Schönheit. Nicht aber die Knochentuberkulose mit ihren Versteifungen, Amputationen, Reduktionen. Dieser Krankheit ist ästhetisch nichts abzugewinnen.
Ein gewichtiger Brocken
Emanuel ist ein Dichter und ein Philosoph, und die Menschen, mit denen er im Sanatorium Austausch pflegt, tragen alle auch gedanklich zu einem schwebenden, mitunter befreiten, oft verzweifelten Denken bei. Es sind intellektuelle, politische Diskurse, die da geführt werden. Darum scheint auch viel mehr von Rumänien in diesem Sanatorium auf, als man zunächst für möglich halten würde.
Mit 141 Minuten ist der Film von Radu Jude ein gewichtiger Brocken und doch unendlich kurz im Vergleich zum endlos scheinenden Leiden, welches das kurze Leben seines Protagonisten bestimmt. Die Wirkung ist stark, die Gedankengänge, welche angestossen werden, wirken nach und der Film ist viel mehr ein Ideen- und Verknüpfungsspiel, als ein Echo der Gefühle.
Unter den Preisträgern des diesjährigen Locarno Filmfestivals wird «Inimi Cicatrizate» mit Sicherheit auftauchen. Radu Jude hat den bereits erstaunlich vielen Facetten des andauernden rumänischen Filmwunders eine weitere hinzugefügt. Eine, die bleiben wird.