Die erste Einstellung kommt von einer Kamera, die fix montiert ist: auf einem Boot, das an Mangrovenbäumen vorbei aufs offene Meer fährt. Dann sieht man einen Mann, der mit einem Speer taucht. Und schliesslich, aus einer ähnlich starren Perspektive, die attraktive Shirley im Bikini auf dem Boot an der Sonne. Sie holt eine Dose Cola hervor und reibt sich den Körper damit ein, als ob es Sonnencrème wäre.
Zu dieser irritierenden und schamlosen Perspektive gesellt sich die Irritation über das, was die Figur da eigentlich macht. Hilft Cola kühlen? Sonnenbrand muss sie mit ihrer dunklen Haut eher nicht fürchten. Oder zuckert sie sich für den tauchenden Mann?
Ethnografisch präzise Beobachtungen
Von der ersten Einstellung an funktioniert «Ventos de Agosto» dokumentarisch. Er zeigt sachlich, oder pseudo-sachlich, was ist, was passiert, und setzt so unsere eigene Spekulation in Gang. Ethnografisch präzise sehen wir im weiteren Verlauf, wie Kokosnüsse geerntet und transportiert werden, wie Shirley Traktoren fährt und repariert und auf der Kokosnussladung im Anhänger mit Jeison Sex hat.
Als dieser allerdings nicht einwilligen will, sich von ihr tätowieren zu lassen, schimpft sie ihn einen Feigling. Denn er fürchtet, sein Vater könnte ihn aus der Hütte werfen, wenn er mit einem Tattoo heimkomme. Und ausserdem ist sei so ein Tattoo für immer.
Ein Schwein wird tätowiert
Zwischen Meer und Kokoswald, am Fluss und hinter den Hügeln, fern von der Stadt vergehen die Tage. Shirley kümmert sich um ihre gebrechliche Grossmutter, nicht freiwillig, sondern auf Geheiss ihrer Mutter, wie wir erfahren. Und sie probiert ihre Tätowierkünste an einem quiekenden Schwein aus, weil Jeison offensichtlich nicht Manns genug ist.
Derweil wird Jeison von seinem ebenfalls kranken Vater dauernd zurechtgewiesen. Bis er beim Tauchen zuerst auf einen Schädel stösst, und später auf eine komplette, aufgedunsene Leiche. Um beide kümmert er sich mit Hingabe und gegen den Willen der anderen Dorfbewohner.
Nicht nur der Wind ist flüchtig
Sozusagen als Zwischenakt taucht dann auch noch ein Windforscher auf. Er nimmt die Tropenwinde akustisch auf, die Auguststürme, aber auch Kinderstimmen und Musik, die aus Häusern dringt. Dabei stolpert er ebenfalls mehr oder weniger ethnografisch durch die kleine Dorfgemeinschaft.
«Ventos de Agosto» ist eine skurrile Verquickung des klassischen ethnografischen Duktus mit meist nur angedeuteten Beziehungs- und Machtbezügen zwischen den Figuren. Der Film ist häufig ebenso komisch wie berührend, und letztlich von einem fein gewebten Symbolbezugsnetz durchzogen, das sich erst nachträglich einigermassen erschliesst: Autorität und Liebe, Meer und Tod, Vergänglichkeit und Gezeiten wie auch Wetter rupfen nicht nur an diesem Stück brasilianischer Küstenlandschaft, sondern auch an den Menschen. An jenen, die einfach da sind, ebenso wie an jenen, die gerne woanders wären.
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Ein überaus feingesponnener Film, der Sex und Tod, Wind und Hoffnung, Ethnografie und Fiktionalisierung verwebt, als leises, fast flüchtiges Angebot.