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Filmfestival Locarno Ein Poet in der Melancholie der Krise

Der italienische Musiker und Schriftsteller Vinicio Capossela ist ein umtriebiger Künstler. Der Dokumentarfilm «Indebito», der in Locarno zu sehen ist, begleitet ihn auf einer musikalischen Reise nach Griechenland.

Der italienische Cantautore Vinicio Capossela ist ein Poet und ein Paradiesvogel – und er ist einer der spannendsten Musiker seiner Gattung. Ein musikalischer Tourist mit solidem Fundament in den Traditionen seiner Heimat, jedenfalls ein wandelbarer Künstler. Einmal lädt er mit einer rasenden Tarantella zum Tanz, dann erschrickt er das Publikum in Minotaurenmaske, dann wieder betört er die Zuhörer mit schwermütigen, feinen Pianoballaden, die an die frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts erinnern.

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Zwischen Tom Waits und Paolo Conte

Capossela begann seine Karriere relativ konventionell, ein singender Autor am Klavier. Er klang wie eine Begegnung zwischen Tom Waits, dem kalifornischen Troubadour des Tresens, und Paolo Conte, dem piemontesischen Gentleman-Poet. Mit der Zeit erarbeitete sich Capossela eine eigene Handschrift – mit eigenen Themen wie im melancholischen Lied «Modì», welches vom Heimweh des Malers Modigliani handelt.

Bald schon kamen erste Erfolge und immer mehr arbeitete der Mailänder mit süditalienischen Wurzeln mit Musikern aus aller Welt zusammen. Hier die Bläsertruppe vom Balkan, dort der polyphone Chor aus Sardinien. Auch Marc Ribot, der Gitarrist von Tom Waits, Pascal Comelade, der französische Spielzeuginstrumente-Musiker, und die Wüsten-Rocker Calexico aus Arizona schauten vorbei – und alle hinterliessen ihre Klangspuren auf den Alben des ruhelosen Suchers. «Ich suche mir ein Thema, das mich interessiert und vertiefe mich darin; dann versuche ich, die passende musikalische Umsetzung für das Thema zu finden», sagte er einst in einem Interview.

Auf der Suche nach dem Gesamtkunstwerk

So widmete er einen ganzen Liederzyklus dem Meer, dem weissen Wal Moby Dick – dazu liess er sein Klavier in ein Haus auf einer Meeresklippe schaffen. Für eine Tournee liess er auf der Bühne einen Jahrmarkt aufbauen, auf dem Musiker auf Feuerschlucker und Fabelwesen trafen. Vinicio Capossela ist ein Musiker auf der Suche nach dem Gesamtkunstwerk. Dass er neben dieser Umtriebigkeit noch Zeit fand, einen Roman («Non si muore tutte le mattine», erschienen 2005) zu schreiben, kann erstaunen.

Für sein neustes Album «Rebetiko Gymnastas» ging der Italiener nach Griechenland, auf die Suche nach der Tradition des Rebetiko, der urbanen Folk Musik aus den sechziger und siebziger Jahren. Capossela wollte heutige Rebetiko-Musiker besuchen und platze mitten hinein in die Finanz- und Staatskrise des Landes. Der Dokumentarfilm «Indebito», der in Locarno am Filmfestival vorgestellt wird, begleitet ihn auf seiner Reise zum Rebetiko, zu jener melancholischen Musik, die die Stimmung im schwer gebeutelten Griechenland treffend schildert.

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