Die Untoten sind im Mainstream angekommen. Nun hat allerdings der relativ junge Roman «The Girl with All the Gifts» von Mike Carey wieder einen grossartigen Twist gefunden, um den Untoten neues Leben einzuhauchen: Die Evolution spielt mit.
Das tat sie zwar schon im Spätwerk von Zombie-Grossvater George A. Romero, der die Untoten mit einem erwachenden Bewusstsein zu einer Art Revolution der Unterdrückten heranwachsen liess. Aber «The Girl with all the Gifts» bringt Zombie-Kinder ins Spiel, Kinder mit Zukunft.
Klassenzimmer für Zombie-Kinder
Das klingt schauerlich, und das ist es auch. Der Film setzt ein in einer unterirdischen Anlage, in der schwer bewaffnete Soldaten jeden Morgen auf Rollstühlen festgebundene Kinder in ein Klassenzimmer rollen.
Unter ihnen ist die besonders aufgeweckte Melanie (Neuentdeckung Sennia Nanua), welche ihre sichtlich nervösen Bewacher freundlich beim Namen begrüsst und in sich in der Klasse der Gefesselten als lernbegierieg und gelehrig zeigt.
Die Büchse der Pandora
Sie hat längst das Herz der jungen Lehrerin Helen Justineau (Gemma Arterton) erobert und diese das ihre. So sehr, dass ihr die Lehrerin mit Tränen in den Augen über den Kopf streicht, nachdem sie aus den griechischen Sagen die Geschichte der Pandora und ihrer Büchse erzählt hat.
Das bringt wiederum Sgt. Eddie Parks (Paddy Considine) dazu, zu demonstrieren, warum diese Kinder wie gefährliche Tiere bewacht und angebunden werden. Er wäscht sich mit Spucke das geruchshemmende Gel vom Unterarm und hält diesen einem Jungen vors Gesicht. Worauf sich dieser innert Sekunden in geifernde, bellende, schnappende Gier verwandelt.
Es ist nur eine der vielen Stärken dieses Films, dass er die Erklärung für die Vorgänge möglichste lange hinauszögert, lange genug jedenfalls, dass einem die Kinder und insbesondere Melanie ans Herz wachsen.
Bekannte Einöde
Das die Welt draussen kaum mehr existiert, erfährt man auch erst, nachdem die Zombies den militärischen Komplex überrannt haben und nur der Sergeant, zwei weitere Soldaten, die junge Lehrerin mit Melanie und die von Glenn Close gespielte Forscherin Dr. Caroline Caldwell in einem gepanzerten Fahrzeug flüchten können.
Nun folgen Szenen in der Landschaft und im von Millionen von mehrheitlich kathartischen Zombies bevölkerten London, Szenen, wie man sie aus dem britischen Vorläufer «28 Days Later» von Danny Boyle und seinen Ablegern kennt. Und natürlich Szenen, wie sie «The Walking Dead» Staffel für Staffel genüsslich ausmalt.
Bloss findet dieser Film immer wieder Zeit für Reflexion und evolutionstheoretisch unterfütterte wissenschaftliche Thesen, die vor allem über Melanies Fragen und die immer ausführlicheren Antworten von Dr. Caldwell zu weit erschreckenderen Gedankengängen führen.
Unerwartete Twists
Mit wenigen, aber erstklassigen Schauspielern und Aberhunderten von Statisten holt Regisseur Colm McCarthy mehr als das Maximum aus dem Setting heraus. Dabei spielt er auch immer wieder mit den abgenutzten Standardmomenten des Genre-Kinos, baut Szenen auf und lässt sie in völlig unerwarteten Twists münden.
Wir, die Untoten, sind längst zum grossen Gesellschaftsgarn unserer Zeit avanciert. Die hirnlosen, mörderischen Massen, die aussehen wie wir und unsere Liebsten, aber mit Vernunft nicht mehr zu stoppen sind: Sie treffen uns ins Mark.
Dass es nun auch unsere Kinder treffen soll, und dass die möglicherweise eine neue, ganz andere Art finden könnten, damit umzugehen: Das macht die schreckliche Grösse dieser Geschichte aus. Und Colm McCarthy bringt das meisterlich auf den Punkt.
Ein Festival, das mit so einer Apokalypse eröffnet wird, weist damit klar über die Trampelpfade des braven Kultur-Kinos hinaus in eine Zukunft, die Angst macht und hoffen lässt.