Der philippinische Regisseur Lav Diaz hat mit seinem Historiendrama «Mula sa Kung Ano ang Noon» («From what is before») den Goldenen Leoparden des 67. Internationalen Filmfestivals in Locarno gewonnen. In fesselnden Bildern mit der Suggestivkraft meisterlicher Gemälde reflektiert der 338-minütige Spielfilm die Auswirkungen der Diktatur von Ferdinand Marcos in Diaz' Heimat während der 1970er-Jahre.
Ein Historiendrama von packender Intensität
Im Hauptwettbewerb liefen 17 Spiel- und Dokumentarfilme aus aller Welt. Lav Diaz' Film war bereits als Favorit gehandelt worden und überzeugte die Jury am meisten. Durch seine künstlerische Kraft reift sein Film zu einem allgemeingültigen Drama von packender Intensität, das auch gegenwärtige Probleme spiegelt.
Wie erwartet
Die Juroren entsprachen mit ihren Entscheidungen vielfach den Erwartungen von Publikum und Kritikern. Viel Beifall gab es deshalb für die Auszeichnungen der besten Schauspieler. Die neben Angeliki Papoulia von vielen favorisierte Französin Ariane Labed bekam die Ehrung für ihre Interpretation einer Schiffsmechanikerin im Gesellschaftspanorama «Fidelio, L'Odyssée d'Alice» («Fidelio, die Odyssee von Alice»). Der Russe Artem Bystrow erhielt den Preis für die beste Darstellung für seine Rolle als Titelheld im Polit-Thriller «Durak» (»Der Narr»).
Den Preis für die renommierte Sektion «Woche der Kritik» erhielt die polnische Regisseurin Zuzanna Solakiewicz für «15 Corners of the World», ein meditativer Filmessay über den Komponisten Eugeniusz Rudnik.
Zudem gewann der kolumbianische Regisseur Oscar Ruiz Navia für seinen Spielfilm «Los Hongos» («Die Pilze») über das Leben von Graffiti-Künstlern in seiner Heimat den Spezialpreis der Jury «Ciné+ Cineasti» im «Concorso Cineasti del presente». Diese Auszeichnung wird an junge, noch nicht sehr etablierte Filmemacher vergeben, die durch eine besondere künstlerische Handschrift
auffallen.
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Und doch gab es Überraschungen
Eine Überraschung war die Auszeichnung für den Portugiesen Pedro Costa als Bester Regisseur für seinen sperrigen Spielfilm «Cavalo Dinheiro» («Pferdegeld»). Der Film ist stark an das Theater angelegt und spiegelt in seiner schwer zu entschlüsselnden, sehr kunstgewerblich anmutenden Erzählweise die Auswirkungen revolutionärer Ereignisse auf die Psyche einfacher Menschen.
Auch der Spezialpreis der Jury an «Listen Up Philip» von Alex Ross Perry (USA), das schwatzhafte Porträt eines eitlen Jung-Schriftstellers, rief Verwunderung hervor.
Die Schweiz ging nicht ganz leer aus
Obwohl die Schweiz mit «Cure - The Life of Another» von Andrea Staka und «L'abri» von Fernand Melgar mit zwei starken Beiträgen in den internationalen Wettbewerb trat, ging sie leer aus. Glücklos blieb auch der einzige Schweizer Beitrag im Wettbewerb der Erst- und Zweitlingswerke, der «Cineasti del presente»: «They Chased Me Through Arizona» von Matthias Huser erhielt weder einen Preis noch eine spezielle Erwähnung der Jury. Der Preis ging stattdessen an den mexikanischen Regisseur Ricardo Silva für seinen Film «Navajazo».
Dafür stand die Piazza Grande ganz im Zeichen des Schweizer Films: Nicht weniger als vier Filme mit schweizerischer Beteiligung zeigte der künstlerische Direktor Carlo Chatrian. Peter Luisis «Schweizer Helden» – ein Film über eine Truppe Asylsuchender, die den Wilhelm Tell aufführen will – lockte das Publikum in Scharen auf die Piazza. Luisis Werk mit Esther Gemsch in einer Hauptrolle wurde denn auch mit dem «Prix du Public» ausgezeichnet. Das SRF hat den Film koproduziert.
Die Preisverleihung wird am Samstagabend auf der Piazza Grande stattfinden. Das 67. Internationale Filmfestival Locarno zeigte in zehn Tagen knapp dreihundert Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme in verschiedenen Sektionen.