Der 27-jährige Jérôme Furrer ist heuer zum ersten Mal in Locarno. Am Tag nach seiner Ankunft konnte er in der Reihe «Pardi di domani» seinen Diplomfilm «Die Hälfte der Welt» zeigen. Direkt danach gab es schon einige Reaktionen aus dem Publikum. Ansonsten hat der Regisseur noch wenige Erfahrungen gesammelt.
Leute kennenlernen, den Film ans Publikum bringen
Davon, dass das Festival für ihn eine grosse Chance ist, ist er dennoch überzeugt: «Gerade für junge Filmemacher ist das Festival eine gute Plattform, um zu networken, Leute kennenzulernen und den Film an ein grösseres Publikum zu bringen.» Auch von den Apéros und Partys erhofft er sich nützliche Begegnungen.
Anders Kaspar Schiltknecht: Von diesen Anlässen erwartet er nicht viel. «Was diese Apéros betrifft, bin ich eher pessimistisch. Ich denke, da spricht man nur mit Menschen, die man sowieso schon kennt», sagt Schiltknecht. Der ebenfalls 27-Jährige zeigt zum zweiten Mal einen Film in Locarno, den Kurzfilm «Le Mal du citron», bei dem er gemeinsam mit Jeremy Rosenstein Regie geführt hat.
Zuschauer helfen mehr als Branchenvertreter
Folgenreiche Begegnungen würden an solchen Festivals hauptsächlich diejenigen machen, die in der Filmindustrie arbeiteten, wie etwa Filmproduzenten. Für ihn gehe es in Locarno in erster Linie um die Energie, die vom Publikum zu ihm zurückkommt.
Lob und Kritik von Zuschauern seien das, was ihn weiterbringe – und nicht einzelne Treffen mit wichtigen Menschen: «Es sind gibt keine Begegnungen, die einen irgendwohin katapultieren.»
Von Berlin nach Locarno
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Für Nicole Vögele trifft das nicht zu. Sie hat schon eine solche Begegnung erlebt. Die junge Regisseurin, nebenbei auch tätig für die Nachrichtensendung «10vor10», zeigt dieses Jahr in Locarno nicht nur ihren Film «Nebel» in der Reihe «Panorama Suisse», sondern sitzt bei den «Pardi di domani» in der Jury. Zu verdanken hat sie dies einer Festival-Begegnung, an die sie aber nicht nur gute Erinnerungen hat:
An der vergangenen Berlinale traf sie mit ihrer Produzentin auf Carlo Chatrian, den künstlerischen Leiter von Locarno. «Für mich war das ganz schlimm, ich stand daneben und dachte: ‹Wie peinlich, jetzt kommen wir mit unserem Schulfilm›. Mir war es so unangenehm, dass ich weggegangen bin ans Buffet», sagt Vögele. Und doch war das Treffen mit Chatrian ergiebig: Vier Monate später erhielt Vögele eine Einladung in die Jury der Reihe «Pardi di domani».
Stressige Apéros
Folgenreiche Begegnungen kann es an solchen Festivalanlässen also durchaus geben. Doch für die Jungfilmer sind diese Apéros oft auch sehr unangenehm: «Man steht dann da so in der Ecke, ist schön angezogen, doch keiner spricht mit einem», sagt Vögele.
Small Talk, auf die richtigen Personen zugehen – das sind Fähigkeiten, die für junge Filmemacher an einem Festival wichtig sind. «Das muss man lernen», sagt Vögele, «ich selbst bin wahnsinnig schlecht darin, solche Anlässe sind für mich die Hölle». Hilfreich sei es, wenn man einen Produzenten dabei habe, der einen an solchen Anlässen begleitet, sagt Schiltknecht: «Man ist ja kein Einzelkämpfer. Ich bin nicht extrem gut darin, mich zu verkaufen, und darum braucht es Leute, die das besser können.»
Der Stempel «Locarno»
Vögele freut sich, dass sie in ihrer Rolle als Jurorin das Festival in Locarno etwas entspannter angehen kann. Für Furrer und Schiltknecht, die ihre Filme bereits präsentiert haben, stehen in den kommenden Tagen noch einige Apéros und Partys auf dem Programm. Konkrete Erwartungen haben sie daran allerdings nicht.
Das Festival bringe einen aber auf jeden Fall weiter – allein die Einladung sei schon sehr nützlich: «Das ist wie ein Stempel: ‹Du warst in Locarno›», sagt Schiltknecht. Das führe dazu, dass man an andere Festivals eingeladen werde und helfe dabei, Filme ans Fernsehen zu verkaufen. Während der verbleibenden Tage will der junge Filmemacher das Festival aber vor allem auf eine andere Art nutzen: Er will möglichst viele Filme schauen – denn davon könne man als Filmemacher auf jeden Fall profitieren.