Herr Kiarostami, herzliches Beileid.
Ahmad Kiarostami: Danke. Mein Vater hatte ein tolles Leben. Das macht mich sehr stolz. Er war jemand, der das Leben geliebt hat, wie ich es selten gesehen habe. Wir können also nicht mehr tun, als sein Leben und sein Werk zu würdigen.
Wie war es, als Sohn eines bekannten Regisseurs aufzuwachsen?
Als ich aufwuchs, war er noch nicht sehr bekannt. Ausserhalb des Irans wurde er erst mit dem Film «Where is the Friend's Home?» wahrgenommen. Das war 1987. Und da war ich schon in der High School.
Erst später wurde mir bewusst, wie viel ich von ihm gelernt habe. Er hatte einen sehr starken Charakter. Schon nur wenn man mit ihm rumhing, hat man sehr viel gelernt.
Man begann, Dinge anders zu sehen. Er hat mit seiner Art viele Leute beeinflusst – auch mich.
Wenn ich die mediale Berichterstattung über den Iran mit den Filmen aus dem Land vergleiche, sehe ich zwei verschiedene Gesichter.
Die Filme meines Vaters sind sehr universell. Wahrscheinlich sprechen sie darum auch so viele Leute ausserhalb des Irans an.
Nehmen Sie zum Beispiel «Where is the Friend's Home?» Natürlich spielt der Film im Iran. Aber es geht vor allem um Freundschaft. Etwas, das überall auf der Welt wichtig ist.
In seinen Filmen gibt es keine Bösewichte, keine schlechten Personen. Auch wenn jemand etwas Schlechtes tut im Film, hat man immer das Gefühl, er hatte einen Grund.
Wie sind denn momentan die Arbeitsbedingungen für Filmschaffende oder Künstler im Iran?
Natürlich gibt es Einschränkungen. Aber das ist immer subjektiv. Man kann das als einschränkend betrachten. Oder man sieht es als Möglichkeit, kreativ zu werden. Welchen Weg sie wählen, entscheiden Sie selbst.
Kürzlich erschien dazu in der NZZ am Sonntag ein Artikel. Der Autor behauptete: Die Kehrseite des Schweizer Wohlstandes sei ein harmloses Kulturschaffen.
Schlussendlich hat doch jedes Land seine Einschränkungen. In Amerika ist es wieder anders. Dort wird alles zur Industrie – Filmindustrie, Musikindustrie.
Es ist sehr schwer, sich ausserhalb davon zu bewegen – und es zerstört die Kreativität. Aber eben: Es ist immer eine Frage der Betrachtungsweise.
Ein Freund meines Vaters ist Architekt. Er hat mal gesagt: «Immer wenn ich ein schönes, rechteckiges Stück Land bebauen darf, entwerfe ich ein normales Haus. Aber wenn ich ein schwieriges, begrenztes Grundstück habe, entstehen meine besten Designs.»
Als ich im Iran reiste, fiel mir auf, wie kunst- und kulturbegeistert alle Leute waren. Und immer darüber diskutieren wollten. Woher kommt das?
Als ich aufwuchs war die Zeit des Ersten Golfkriegs. Unser Leben war sehr eingeschränkt. Wir hatten noch kein Internet. Es war schwierig, an Filme und Musik zu kommen.
Trotzdem hatten wir ein Netzwerk, um Kulturprodukte auszutauschen – Kassetten, CDs. Das war alles was wir hatten. Wir konnten auch nirgendwo hingehen.
Folglich verschlangen wir alles, was uns in die Hände fiel. Wir organisierten Filmabende. Anschliessend diskutierten wir lange darüber.
Erst in Amerika ist mir aufgefallen, dass niemand sonst solche Erlebnisse hatte. Auch diese Einschränkungen haben uns also geholfen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
Da ich nicht im Iran lebe, kann nicht das nicht genau beantworten. Aber als ich das letzte Mal da war, sah ich viel mehr Hoffnung. Aber jetzt müssen wir abwarten, wie die Situation nach den Wahlen aussieht – im Iran und natürlich auch in Amerika.