Die Stadt New York ist Schauplatz und Protagonistin von unzähligen Filmen aus der US-amerikanischen Independent-Szene. Auch Alex Ross Perry, seit seinem Spielfilm «The Color Wheel» von 2011 der neue Liebling der Independent-Fans, macht die Stadt zum Thema seines neuen Films «Listen Up Philip», der am Filmfestival Locarno im internationalen Wettbewerb läuft.
Wütend auf alle und alles
Aber Perry, gerade mal 30-jährig, rechnet in seiner Misanthropen-Komödie ziemlich drastisch mit New York ab. Im Director’s Statement schreibt er, er habe noch in keinem Film gesehen, was diese Stadt den Menschen wirklich antue. Sie sei voller Negativität, feindlich, man müsse immer um alles kämpfen. Zu oft würden diese Eigenschaften im Kino als charmante Probleme, die einfach zu lösen seien, dargestellt.
Und so ist Alex Ross Perry ausgezogen, gegen seine leidvolle Erfahrung in New York anzuschreiben und anzufilmen, mit «Listen Up Philip». Jason Schwartzman – auch er ein Star in der Independent-Szene – spielt den Schriftsteller Philip, der gerade seinen zweiten Roman veröffentlicht. Das wäre zwar ein Erfolg, aber Philip ist missgelaunt, wütend auf alle und alles und hat die Stadt satt. Er lässt seinen Frust an jedem aus, an einer Ex-Freundin, einem alten Schulfreund und auch an seiner Freundin Ashley (Elisabeth Moss), die diese Beziehung immer über ihre Karriere als erfolgreiche Fotografin gestellt hat. Als ihn schliesslich der schon ältere, sehr erfolgreiche Schriftsteller Ike Zimmerman ( Jonathan Pryce ) einlädt, einen Sommer in dessen Landhaus zu verbringen, willigt Philip ein - sehr zur Verärgerung seiner Freundin.
Selbstbezogen und arrogant
Philip ist ein Antiheld, wie er im Buche steht – und das ist fast wörtlich zu nehmen, denn Alex Ross Perry inszeniert seinen Film so, als wäre es eine Romanverfilmung (ist er aber nicht), lässt eine Off-Stimme lange, sehr literarische Passagen über die inneren Zustände Philips und aller, die in seinem Kosmos eine Rolle spielen, lesen. Aber wenn sich auch «Listen Up Philip» zu Beginn wie ein klassischer Entwicklungsroman anlässt («arroganter, misanthroper Mensch wird gegen Ende der Geschichte besser, weil er jemanden trifft…»), so erweist sich Philip als resistent gegen Entwicklung und Veränderung. Denn sein Mentor Ike ist nicht der (vom Zuschauer erhoffte) weise Katalysator für Philips Egozentrismus. Er ist einfach nur eine ebenso selbstbezogene und arrogante, ältere Version Philips.
Philip ist ein Filmheld, der unsympathisch ist und bleibt – darin gleicht er dem Folksänger Llewyn Davis aus dem Film von Joel und Ethan Coen. Er ist selbst seinem Regisseur Alex Ross Perry so unsympathisch, dass ihn dieser mitten im Film einfach für längere Zeit (über eine halbe Stunde lang) nicht mehr auftreten lässt und sich stattdessen auf die Nebenfiguren konzentriert.
Kluge Abrechnung mit New York
«Listen Up Philip» ist in allem – in Thematik, Stil, Ausstattung und Schauspiel – ein ganz klassischer New Yorker Independent-Film. Farbe und Stil erinnern an die 70er-Jahre. Die Dialoge sind geschliffen, witzig und intelligent, die Figuren zynische Intellektuelle und Künstler, die sich mit ihrer Kunst und mit ihren Beziehungen herumschlagen.
Aber dieser Film ist mehr als nur ein typischer Vertreter des Genres: er ist eine ätzend bissige und sehr kluge Abrechnung mit einer Stadt, deren Dauerlärm und Dauerstress pures Gift für Beziehungen und für Kreativität ist. Und er ist auch eine Reflexion über das Indie-Filmgenre selber, das sich aus dieser Stadt New York nährt. Insofern ist auch die Hauptfigur Philip als misanthropischer und äusserst unsympathischer Antiheld nicht nur ein Vertreter der New Yorker Kreativszene. Er ist ein Stück weit sogar die Personifizierung New Yorks.