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Rätoromanische Filmpremiere «Amur senza fin» – ein Heimatfilm, den viele nicht verstehen

Ein Film in einer Sprache, die nur von 40'000 Menschen gesprochen wird: Die rätoromanische TV-Komödie «Amur senza fin».

Drei Ehemänner in einem Bündner Dorf haben das gleiche Problem: Sie alle vernachlässigen ihre Ehefrauen, in ihren Schlafzimmern läuft nichts mehr.

Der eine geht lieber Joggen als mit seiner Frau ins Bett. Der andere kann nicht – ihn plagen Erektionsprobleme. Der Dritte vergnügt sich mit der besten Freundin seiner Frau im Wald – und hat darum zuhause keine Lust mehr auf Sex.

Ein Pfarrer, der nicht aus der Bibel predigt

Nun bringt ein Neuankömmling frischen Wind in die Bündner Schafzimmer: Ein indisch-stämmiger Pfarrer kommt aus Deutschland ins Dorf. Und empfiehlt seinen Schäfchen als Lösung für die Probleme nicht die Bibel, sondern das Kamasutra.

Es ist allerdings nicht der indisch-deutsche Pfarrer, der eine Prise Exotik in diesen Schweizer Fernsehfilm bringt. Nein, es ist ungewöhnliche Sprache des Films.

«Amur senza fin», der am Filmfestival Locarno ausser Konkurrenz gezeigt wurde, ist der erste professionell gedrehte Spielfilm in Rätoromanisch. Die ungewohnte Sprache erweist sich als erstaunlich passend für diese flotte Fernsehkomödie.

Fremd und nah zugleich

Der Klang des Rätoromanisch gibt den Dialogen zwischen den streitenden Ehepartnern Schwung. Denn es lässt sich auf Rätoromanisch ausgezeichnet fluchen.

Auch wenn die Sprache für die meisten Zuschauer nicht verständlich ist, klingt sie vertraut. «Die Sprache ist für die meisten Schweizer fremd und ganz nah zugleich», sagt Hauptdarstellerin Tonia Maria Zindel, für die Rätoromanisch Muttersprache ist.

Die fünf Personen posieren lachend vor einem Bergdorf
Legende: Regisseur Christoph Schaub (Mitte) mit seinen Darstellern Bruno Cathomas, Rebecca Indermaur, Tonia Maria Zindel und Beat Marti (von links). SRF/Pascal Mora

Die Schauspielerin Rebecca Indermaur musste die Sprache hingegen neu lernen. Sie ist zwar in Graubünden aufgewachsen und deshalb mit der Sprache vertraut, bisher sprach sie sie jedoch nicht: «Ich habe einen Churer Vater und eine Berner Mutter – das Rätoromanisch hat in meinem Leben bisher keine grosse Rolle gespielt».

Erschwert wird die Filmproduktion dadurch, dass in Graubünden zahlreiche verschiedene Sprachvarianten, sogenannte Idiome, gesprochen werden. Im Film hat man sich nicht für ein einziges Idiom entschieden – die Schauspielerinnen und Schauspieler sprechen in ihrem jeweils eigenen.

Das sei ein moderner Ansatz, sagt Regisseur Christoph Schaub. Früher hätten die Sprecher der verschiedenen Idiome sich kaum ausgetauscht, heute würden sie viel mehr miteinander sprechen.

Eine durchlässige Sprache

Auch gegenüber dem Schweizerdeutschen sind die Grenzen durchlässig. Es gibt im Film zahlreiche Lehnwörter wie «Migrationshintergrund» oder «Tubel».

Für Regisseur Christoph Schaub macht die Übernahme solcher anderssprachiger Begriffe das Rätoromanisch lebendig: Weil die Sprache so durchlässig sei, sei sie nicht museal.

Das mache sie auch für jene Zuschauer zugänglich, die kein Rätoromanisch sprechen: «Es gibt keinen Pizokel-Graben», sagt Schaub.

Drei Männer vin Jagdkleidung verstecken sich hinter einem Stein und schauen durch Ferngläser.
Legende: Ihre Frauen schauen die Ehemänner in «Amur senza fin» schon lange nicht mehr an - stattdessen halten sie Ausschau nach Steiböcken. SRF/Pascal Mora

Kurzes Casting

Das Casting für den Film war ungewöhnlich: Denn während man bei Filmen normalerweise aus einer Vielzahl von Schauspielern auswählen kann, lassen sich die professionellen Schauspieler, die Rätoromanisch sprechen, an einer Hand abzählen.

Mit Bruno Cathomas, Rebecca Indermaur und Tonia Maria Zindel hat der Film dennoch starke Hauptdarsteller gefunden. Das Drehen auf Rätoromanisch macht ihnen sichtlich Spass.

Dank der Sprache kann «Amur senza fin» einem schon bekannten Genre eine neue Nuance zufügen. Eine Dreiecksgeschichte und ein Dorf, das trotz Unterschieden zusammenfinden muss, um ein grösseres Unheil abzuwenden – das kennt man schon aus anderen TV-Komödien.

Da bietet das Rätoromanische eine willkommene Abwechslung. Denn das ist für Schweizer Fernsehzuschauer eine neue Erfahrung: Ein Film über die eigene Heimat, bei dem man kaum ein Wort versteht.

4 Fragen an Christoph Schaub

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Schaub lächelnd vor einem gelben Plakat
Legende: Keystone

Als Regisseur machen Sie ganz unterschiedliche Filme, nun wieder eine Fernsehkomödie. Warum?

Ich bin relativ breit aufgestellt, weil mich verschiedene Dinge interessieren. Eine Komödie zu drehen ist eine tolle Sache, weil man das Publikum zum Lachen bringen kann, aber auch dazu, über gewisse Dinge nachzudenken.

Was hat Sie am Rätoromanischen gereizt?

Es ist ein neues Gebiet für mich. Ich habe schon Dokumentarfilme gemacht für das romanische Fernsehen, aber die tiefe Auseinandersetzung mit der Sprache kam mit diesem Film. Der Anspruch war, eine Geschichte zu erzählen, die überall stattfinden kann, aber auf romanisch gespielt wird.

Sprechen Sie Rätoromanisch?

Nein.

Als Regisseur führen Sie also Schauspieler in einer Sprache, die Sie nicht beherrschen. Ist das eine Herausforderung?

Ja. Aber die Schauspieler sind alle zweisprachig, die sprechen auch Deutsch. Ich kann mich mit ihnen also wunderbar unterhalten. Und die Emotion in der Sprache ist ja universell – das versteht man.

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