Ehren- und Lebenswerk-Preise an Filmfestivals werden oft belächelt: Ihre Vergabe erfolgt inflationär, sie sind aufdringlich nach prestigeträchtigen Marken benannt und bisweilen durchschaubar als halbherziges Mittel, einen Anlass mit Filmprominenz aufzupeppen – oft mit dem bitteren Beigeschmack, dass die Preisträger nur mehr auf den Ruhm vergangener Tage zurückblicken.
Im Hintergrund tickt ein Uhrwerk
Doch manchmal geht die Rechnung auf. Brian De Palma erhält heuer an den Filmfestspielen von Venedig den «Jaeger-LeCoultre Glory to the Filmmaker Award». Da gibt es nichts zu spotten. Der richtige Mann erhält am richtigen Ort den richtigen Preis, zum richtigen Zeitpunkt.
Der richtige Ort, weil Venedig und De Palma seit jeher eine starke Beziehung verbindet. Bereits 1973 zeigte er dort «Sisters», 2012 seinen bisher letzten Film «Passion». Den richtigen Preis, weil dieser benannt ist nach einer Schweizer Luxus-Uhrenmarke. De Palma ist bekannt für sein minutiöses Timing. Die Präzision seiner Schnittsequenzen erweckt oft den Eindruck, im Hintergrund würde ein Uhrwerk ticken.
Da rümpft die Kritik die Nase
Wobei man ihm das auch vorwarf: Seine Filme seien «style over substance», ein selbstverliebtes Suhlen in den expressivsten technischen Möglichkeiten der Filmkunst. Tatsächlich gehören aufdringliche visuelle Effekte zu De Palmas Standard-Repertoire.
Komplexe Parallel-Montagen, Split-Screen-Experimente, Tiefenschärfe, minutenlange Kamerafahrten ohne sichtbare Schnitte, irritierende Geräusche aus dem Off: Immer wieder scheint De Palma seinem Publikum unter die Nase zu reiben, was für ein virtuoser Künstler er doch ist. Gelegentlich rümpfte die Kritik darob die Nase und empfand das Ergebnis als marktschreierisch, kontraproduktiv und unfreiwillig komisch.
Der Hitchcock-Jünger
Schon früh hat man De Palma als einen geschmacksverirrten Epigonen Hitchcocks abgetan – und dabei mehr oder weniger absichtlich übersehen, dass er phasenweise gar nichts anderes sein wollte.
De Palma hat seine Inspirationsquellen – von Antonioni bis Godard – nie verheimlicht. Die Rezepte des britischen «Master of Suspense» hat er nicht aus Inspirationsmangel abgekupfert, sondern ehrfürchtig und in aller Offensichtlichkeit variiert.
Sinn für den Wahnsinn
De Palma wollte von den Besten lernen, und er fand in Hitchock einen Meister, aber auch einen Geistesverwandten. Uneingeschränkt teilte er dessen Gusto für unterdrückte Perversionen, für Voyeurismus und Verfolgungswahn. Und natürlich den absoluten Glauben an die visuelle Kraft.
Wie sein Idol liess es sich De Palma nie nehmen, sein technisches Können zugunsten der Glaubwürdigkeit einer Geschichte in den Hintergrund zu stellen. Ein Realist wollte er gar nie sein, vielmehr ein Meister der plakativen, grotesken Verfremdung.
Persönlicher als erwartet
Mit diesem geschliffenen, künstlichen Stil übertünchte er bisweilen die Initimität seiner Anliegen. Laut Eigenaussage hat De Palma immer wieder innere Dämonen verarbeitet und persönliche Obsessionen bewältigt.
Überraschende Parallelen zwischen De Palmas Biografie und seinem Werk finden sich im lesenswerten, kürzlich erschienenen Buch «Brian De Palma's Split Screen: A Life in Film» von Doug Keesey, und – vermutlich – auch im Dokumentarfilm «De Palma» des angesagten Filmemachers Noah Baumbach («Frances Ha»), der nun in Venedig anlässlich der Preisvergabe uraufgeführt wird.
Ob De Palma selbst nochmals einen Spielfilm drehen wird, ist derzeit offen – sein Schaffen aber ist aktueller denn je.