Das Rennen um die Oscars 2017 ist definitiv angelaufen, und einer der Aspiranten heisst Woody Harrelson. Mit Gesichtsprothesen, Toupet, aufgemalten Altersflecken und markanter Brille schlüpft er in die Haut des US-Präsidenten Lyndon B. Johnson – und gleicht dem Original trotzdem kein bisschen. Aber das macht nichts, denn Harrelson steckt seine übliche Verve in die Performance und hält den Film damit weitgehend über Wasser.
Die Tonart wird bereits in der Eröffnungsszene durchgegeben: Senator Johnson drillt seinen Stab und feuert in alle Richtungen Befehle ab, wobei er mehrmals verbal unter die Gürtellinie greift – etwa als er seinen persönlich Schneider anweist, zukünftig den Schritt seiner Hosen auszuweiten. Später wird er ein Meeting abhalten auf einer Kloschüssel sitzend und mit WC-Papier wedelnd.
Aufstieg (ohne Fall)
Lyndon B. Johnson soll im Film offensichtlich positioniert werden als ein hemdsärmeliger Macher, als ein sturer Südstaaten-Demokrat, der auch in heiklen Situationen kein Blatt vor den Mund nimmt. Diese Charakterisierung ist vor allem wichtig für die Zeitspanne, die der Film abdecken will: Johnsons Aufstieg vom Senator zum Vizepräsidenten und sein Nachrücken ins Weisse Haus, nachdem der amtierende Präsident John F. Kennedy erschossen wurde, sowie sein erfolgreiches Weibeln für ein Bürgerrechtsgesetz, das entscheidende Schritte gegen die Rassendiskriminierung in den USA einleitet.
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Dass Johnson weitere Sozialreformen einführte, bevor ihm der Vietnamkrieg zum aussenpolitischen Debakel geriet, erwähnt der Film nur noch in Texttafeln vor dem Abspann.
Generell hält sich der Film «LBJ» mit Kritik an seinem Gegenstand streng zurück: Johnson ist zwar ein resoluter, schroffer Politiker, aber letztlich ein integrer Mensch.
Am Schluss des Films hält er eine flammende Antrittsrede, welche ihre Zuhörerschaft beinahe zu Tränen rührt. Immerhin bleibt aber nicht unerwähnt, dass Johnson diese Rede nicht selbst geschrieben hat.
Rassengleichheit (auf dem Papier)
«LBJ» ist ein sehenswerter Film, weil Woody Harrelson darin brilliert, und weil darin Aspekte der US-Politik verhandelt werden, die zumindest im Spielfilmformat noch nicht oft zu sehen waren.
Insbesondere die gehässigen Machtspiele zwischen Lyndon B. Johnson und seinem Konkurrenten Robert F. Kennedy (gespielt von Michael Stahl-David) haben angenehmen Biss.
Darüber hinaus legt der Filme jedoch erhebliche Mängel an den Tag, die vor allem struktureller Natur sind: Die Ermordung Kennedys, die ein dramatischer Einstieg in die Story hätte werden können, wird bis in die Mitte des Films ausgewalzt. Und obwohl in den Nebenrollen immer wieder interessante Nebenfiguren auftauchen – Bill Pullman, Jennifer Jason Leigh und Richard Jenkins reissen ihre Szenen an sich – hängt das extrem wortlastige Drehbuch irgendwann durch.
Stossend ist zudem, wie ausführlich in diesem Film über das richtige Timing der Überwindung von Rassentrennung debattiert wird, ohne dass der Autor Joey Hartstone und der Regisseur Rob Reiner – über eine einfache Haushälterin hinaus – schwarze Figuren auftreten lassen. Zumindest Martin Luther King hatte man einen Platz in dieser Galerie gegönnt.