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Filmschatz: «Medium Cool»
Aus Kultur Extras vom 27.08.2019.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 48 Sekunden.
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Filmschatz von 1969 Mit der Kamera gegen den Krieg

«Medium Cool» von 1969 ist eine meisterhafte Synthese aus Fiktion und Dokumentation über Medien und Gewalt.

Eigentlich erzählte der Spielfilm «Medium Cool» vom US-amerikanischen TV-Kameramann John Cassellis (Robert Forster), der emotionslos Berichte über Verkehrsunfälle macht.

Als er eine Romanze mit der Lehrerin Eileen (Verna Bloom) beginnt, fängt er an, seine Rolle im sensationsgeilen Medienbusiness zu hinterfragen.

Als während des Parteitags der Demokraten Unruhen in der Stadt ausbrechen und Eileens Sohn verschwindet, suchen sie gemeinsam den Jungen. Soweit die Handlung.

Fiktive Geschichte, echte Proteste

Wie bei jedem Spielfilm gibt es Schauspieler, die Geschichte ist fiktiv. Aber das Besondere des Films ist: Die Unruhen sind echt.

Nahaufnahme von Robert Foster in schwarz weiss mit Kamera auf der Schulter.
Legende: Robert Forster («Jackie Brown », «Twin Peaks - The Return») als Wexlers Alter Ego, John Cassellis. AF ARCHIVE / ALAMY STOCK FOTO

«Medium Cool» spielt in Chicago. Gedreht 1968. Zu der Zeit fand dort tatsächlich der Parteitag statt.

Als sich herausstellte, dass die Demokraten die Beendigung des Vietnamkriegs nicht in ihr Programm schreiben würde, wurden die jungen Leute wütend. Studenten protestieren gegen den in ihren Augen sinnlosen Konflikt, an dem sie nicht teilnehmen wollten.

Heftige Auseinandersetzungen

Regisseur Haskell Wexler wollte den politischen Sturm, der sich in der Stadt zusammenbraute, nicht ignorieren.

Mit einer kleinen Crew und den Hauptdarstellern begab er sich vor Ort. Zur Demonstration, wo es bald zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Kriegsgegnern und Polizei kam.

Drehabbruch wegen Tränengas

Schauspielerin Verna Bloom mischte sich zwischen die echten Demonstranten. Wexler filmte sie. Vera Bloom stach bei jeder Einstellung hervor. Im Hintergrund: Knüppel schwingende Polizisten und verletzte Demonstranten. Davor: Die Schauspielerin im leuchtend gelben Kleid.

Wexler selbst musste die Dreharbeiten irgendwann einstellen, nachdem seine Crew mit Tränengas besprüht worden war.

Regisseur Haskell Wexler

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«Medium Cool» ist das Debüt von Haskell Wexler (1922-2015) als Spielfilm-Regisseur. Zuvor hatte er sich als der wohl wichtigste Kameramann der New Hollywood-Bewegung etabliert. Seine eigenen Filme waren vor «Medium Cool» Dokumentationen gewesen, wie «The Bus». Über den Marsch auf Washington 1963, einem der Höhepunkte der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

Gesellschaftlicher Protest, staatliche Gewalt: Die Themen liessen Wexler nicht los. 44 Jahre nach «Medium Cool» kehrte er zurück nach Chicago. Wieder gab es Demonstrationen, es war die Zeit der Occupy Wall Street Bewegung, und einen massiven Polizeiaufmarsch.

Wie viele, die die Unruhen von 1968 erlebt hatten, sah Wexler die aktuellen Ereignisse durch die Linse der damaligen Zeit. Er stellte gestern und heute gegenüber und zog Parallelen. Für den kritischen Regisseur stand fest: Die Bereitschaft des Staates, Gewalt gegen seine eigenen Bürger anzuwenden, wenn sie ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit erheben, war nach wie vor existent.

Haskell Wexler gewann zwei Oscars und hat Klassiker wie «One Flew Over the Cuckoo’s Nest » und «Who’s Afraid of Virginia Woolf?» gedreht.

Der Regisseur hielt mit dem Film einen entscheidenden Moment der Gegenkultur der 1960er-Jahre fest, als viele Kriegsgegner zum Schluss kamen, dass friedliche Demonstrationen nicht ausreichen, um Veränderungen herbeizuführen.

Schwarzweiss Foto. Regisseur und dunkelhäutige Kinder beim Dreh.
Legende: Haskell Wexler beim Drehen von «Medium Cool». H&J / RONALD GRANT ARCHIVE / ALAMY STOCK FOTO

Die «New York Times» schrieb über das ungewöhnliche Werk: «Ein Film von enormer visueller Wirkung, eine Art filmische Guernica, ein Bild von Amerika, das gerade dabei ist, in fragmentierte Teile von Feindseligkeit, Misstrauen, Angst und Gewalt zu zerfallen.»

Hollywood wird auf den Kopf gestellt

Und das «Time Magazine» urteilte: «So sehr fordert es die üblichen kommerziellen Filmtechniken und Themen heraus, dass Hollywood, das der zeitgenössischen Politik immer skeptisch gegenübersteht, sich nie wieder erholen wird. Sozial und filmisch ist ‹Medium Cool› Dynamit.»

Mann im Wald mit Kamera in Richtung Zuschauer.
Legende: Der Regisseur nimmt das Publikum ins Visier, im Schluss von «Medium Cool». TCD / PROD.DB / ALAMY STOCK FOTO

Wexlers Hauptaugenmerk lag in «Medium Cool» auf Kritik der Medien-Berichterstattung. Die Sender wollten in Wexlers Augen nur Quote machen. Für sie waren die Proteste ein sensationelles Spektakel. Den inhaltlichen Hintergrund der Demonstrationen ignorierten sie. Dadurch trugen die Medien zum Kreislauf der Gewalt bei. Das war die Meinung von Wexler.

Gewalt will man sehen

Die Message wird unter anderem in einem Satz des Kameramanns John Cassellis im Film zum Ausdruck gebracht: «Wir zeigen die Gewalt. Wer will schon jemanden sehen, der sich hinsetzt und über Frieden spricht, es sei denn, er redet laut?»

Wexlers Botschaft an den Zuschauer war eindeutig: Fordert Fakten, keine Sensationen, dann kann es seriöse Berichterstattung geben.

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