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Identitätspolitik im Film Nicht-Jüdin spielt eine Jüdin – ein Problem?

Das Netz diskutiert: Darf Nichtjüdin Helen Mirren die israelische Ikone Golda Meir spielen? Die Schweizer Casting-Direktorin Corinna Glaus gibt Einblicke, wie solche Entscheide getroffen werden.

Helen Mirren ist weltweit gefeiert und ist als Schauspielerin mit Preisen ausgezeichnet worden – sie ist aber keine Jüdin. Kann sie nun im Biopic über Golda Meir, der ersten israelischen Premierministerin, eine Frau spielen, die in der Geschichte Israels einen wichtigen Platz einnimmt? Darüber entfachte letzte Woche eine Debatte in den Medien.

Welche Geschichte soll erzählt werden?

Wie eine Agentur Castingentscheide trifft, weiss Corinna Glaus. Sie ist Inhaberin und Gründerin der Agentur Glaus Casting. Sie meint, es hänge schlussendlich immer davon ab, wie die Regisseurinnen und Regisseure die Geschichte erzählen wollen.

Zum Beispiel in einem Film über Jugendliche auf der Strasse: Hier stellt sich die Frage, ob man «Jugendliche, die auf der Strasse leben, casten muss. Oder ob auch Gymi-Schülerinnen und Schüler dies lernen und spielen können», sagt Glaus.

Porträt einer blonden Frau mit Pagenschnitt im mittleren Alter.
Legende: Authentisch besetzen oder mittels guten Schauspielerinnen und Schauspielern? Für Corinna Glaus, Leiterin einer Castingagentur, muss diese Frage bei jedem Filmprojekt neu gedacht werden. zvg/Ona Pinkus

Laien oder Profis?

Die Frage ist keine neue. Die Diskussion, wie authentisch Rollen zu besetzen sind, werde schon länger geführt. «Das ist entweder naturalistisch und authentisch –bis hin zu Laien, die biografisch nahe an den Figuren sind. Oder aber man besetzt tolle Schauspielerinnen.»

Schauspieler seien in der Lage, durch Recherche, Proben und Vertiefung in die Rolle zu schlüpfen, obwohl diese möglicherweise weit entfernt ist von ihrer eigenen Persönlichkeit.

Geprägt von jüdischer Kultur

Glaus' Fazit: Es seien zwei unterschiedliche Herangehensweisen, und keine führe automatisch zu einem besseren Ergebnis. Wenn es also darum geht, jüdische Personen zu besetzen, können gewisse Faktoren vorteilhaft sein: «Eine jüdische Persönlichkeit ist im Spiel und Ausdruck gekennzeichnet durch die Kultur, Geschichte, Sprache, den Rhythmus, die Gestik und Mimik. Jemand, der in diesem Umfeld aufwächst, kann daraus schöpfen. Aber ich finde es nicht zwingend.»

Hinzu kommt, dass es bei Golda Meir um eine historische Persönlichkeit geht. Da sei die Thematik anders gelagert als bei fiktionalen Charakteren: «Ich verstehe, wenn sich gewisse Leute daran stören, da Meir ja wirklich gelebt hat und viele sie kannten.»

Aber die Regie habe sich entschieden, dass man der historischen Persönlichkeit Meir mit der Schauspielerin Helen Mirren gerecht werden könne.

Sich an marginalisierten Gruppen bedienen?

Castingentscheide werden aber auch unter moralischen Gesichtspunkten diskutiert: Dürfen Nicht-Jüdinnen Jüdinnen darstellen? Heteros Schwule? Oder ist das ein «Sich-Bedienen» an Geschichten marginalisierter Gruppen, ohne diese selbst an Bord zu haben?

Corinna Glaus findet: «Man darf es, aber man muss sich bewusst sein, was man macht. Man kann nicht oberflächlich damit umgehen.» Per Definition sei Schauspiel eine Interpretation. «Ich interpretiere eine Mutterrolle oder eine Mörderin, obschon ich keine Mörderin bin.»

Um Authentizität, Fragen der Repräsentation und Schauspielkunst geht es beim Casting. Ein Spannungsfeld, das zu Reden gibt. Und eindeutige, einfache Antworten gibt es nicht.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 17.1.2022, 8:06 Uhr ; 

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