Niedliche Hundewelpen töten und sich daraus einen schicken Mantel aus Dalmatinerfell nähen: Das war Cruella De Vils finsterer Plan im Disney-Zeichentrickfilm «One Hundred and One Dalmatians» von 1961.
Schon damals war die grell geschminkte Frau mit dem langen Zigarettenhalter und dem halb weissen, halb schwarzen Haar eine viel zu bizarre Erscheinung, um ernsthaft Grauen zu erzeugen.
Schrill statt bedrohlich
Und so gibt sich auch die neue Ursprungsgeschichte nicht düster, sondern schrill: Der Film «Cruella» dröselt nicht lange tiefenpsychologisch auf, weshalb die Hauptfigur zur bösen Seite wechselt.
Stattdessen spielt Emma Stone ihre Cruella als junge Rebellin; als eine talentierte Schneiderin, die sich aufmacht, mit ihren Kreationen Londons punkige Modewelt der 70er zu erobern.
Kein Etikettenschwindel
Natürlich darf Cruella bitterböse sein: Alles andere wäre Etikettenschwindel. Aber das wird mehrfach abgefedert. Zuerst einmal ist da die Dualität ihres Charakters – sie heisst eigentlich Estella, und die wäre gar nicht unsympathisch. Aber sie hat ein Kindheitserlebnis zu verdauen, und dadurch wird sie zur Rächerin.
Der zweite Grund, warum Cruella als Heldin funktioniert: Das Drehbuch stellt ihr eine ebenbürtige Gegnerin zur Seite, die noch viel verdorbener ist. Emma Thompson spielt eine Modezarin, die Cruella unter ihre Fittiche nimmt – um sie auszubeuten. Ein aufwändiger Mode-Zweikampf ist lanciert.
Duell der Diven
Die beiden Diven gönnen sich nichts: Präsentiert sich die eine glamourös in der Öffentlichkeit, dann stiehlt ihr die andere mit einem noch pompöseren Auftritt die Show. Und Disney hat sich nicht lumpen lassen für diesen Spass: Über 80 Kostüme tragen allein die Hauptdarstellerinnen.
«Cruella» ist ein teurer Film, eine Extravaganza mit luxuriösen Dekors und vielen Massenszenen. 200 Millionen Dollar soll die Produktion gekostet haben, und das sieht man ihr an: Nichts ist billig, egal wo man hinblickt oder hinhört.
Die äusseren Werte stimmen, und die inneren auch: Das Erzähltempo ist extrem hoch, der schwarze Humor sitzt, die beiden Schauspielerinnen kosten die Kaltblütigkeit ihrer Figuren aus.
Zitat-Flut mit Bowie, Punk und Prada
Die Regie ergötzt sich derweil an Zitaten: Alles, was mit dem 70er-Zeitgeist rund um Punk, London, Glam oder Mode zu tun hat, wird zum Abschuss freigegeben: Vivienne Westwood, David Bowie und Charles Dickens schimmern durch, irgendwo imitiert ein Nebendarsteller den Kultmoderator Alan Partridge, ein anderer ist verkleidet als Yves Saint Laurent.
Dabei ist es völlig egal, welche von diesen unzähligen Referenzen man erkennt, und welche nicht. Wie sich Cruella mit ihrer eiskalten Mentorin anlegt, das erinnert an «The Devil Wears Prada», funktioniert aber auch ganz gut ohne das berühmte Modell.
Und die Hunde?
Aber was ist eigentlich mit den Dalmatinern aus dem Originalfilm? Auch die werden irgendwo in den Mix eingeflochten. Aber Cruella hat vor lauter Action gar keine Zeit, sie zu häuten.
Kinostart: 27.5.2021