In manchen Momenten dieser Doku wähnt man sich in einem Mafiafilm aus Hollywood. Das ist ganz im Sinne von Regisseur Asif Kapadia. Der Oscarpreisträger lässt sich für seine Dokumentationen gerne von Spielfilmen inspirieren.
«Für mich ist ‹Senna› ein heroischer Actionfilm. ‹Amy› ist ein Musical – ein trauriges, gefühlsstarkes Musical. Und ‹Diego Maradona› ist wie ‹Mean Streets› von Scorsese: ein Gangsterfilm oder ein Thriller.»
Ein pralles Leben
Dass die Lebensgeschichte von Diego Armando Maradona filmreif ist, dürfte allgemein bekannt sein. Aufgewachsen in grösster Armut, kommt Klein-Diego dank seiner unnachahmlichen Ballbehandlung ganz gross raus.
Der Film beginnt mit seiner gefeierten Ankunft in Neapel. Maradona wird wie ein Messias empfangen – obwohl er zuvor in Barcelona die hohen Erwartungen nicht ganz erfüllen konnte.
In Italien übernimmt Maradona dagegen sofort das Zepter. Fast im Alleingang schiesst er seinen Verein, die S.S.C Napoli, zu zwei Meisterschaften.
Daneben wird er 1986 als Captain der argentinischen Nationalmannschaft Weltmeister. Und eliminiert vier Jahre später Italien im WM-Halbfinale. Dafür hassen ihn die Tifosi bis heute.
Nördlich von Neapel bleibt Maradona aber auch noch aus einem anderen Grund umstritten: Weil es ihm wegen seiner Drogensucht nie gelungen ist, sich von der Camorra abzugrenzen.
Kapadias Film zeigt Maradonas Verstrickungen mit der Mafia in teilweise unveröffentlichten Aufnahmen aus Privatarchiven.
Keine Sekunde selbst gefilmt
Die Bilder, die Kapadia durch geschicktes Feilschen zusammentragen konnte, ziehen sofort in den Bann. Über 500 Stunden standen ihm für den Schnitt zur Verfügung. Plus die Tonaufnahmen von eigenen Interviews mit Insidern und Maradona selbst.
Gefilmt wurde für die neue Doku dagegen keine Sekunde. Nicht nur, weil es Kapadia langweilig findet, Menschen in Interviewsituationen abzubilden. Die konsequente Vermeidung sogenannter «Talking Heads» ist längst zu seinem Markenzeichen avanciert.
«Ich will keine Filme machen, in denen das Publikum immer wieder zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hin- und herspringen muss», erklärt Kapadia.
«Das Publikum soll vergessen, dass sich das Geschehen in der Vergangenheit abspielt. Die Handlung soll gegenwärtig werden. Es ist ein stilistischer, filmischer Kniff, der das Ganze mehr wie Kino erscheinen lässt. Und weniger wie Fernsehen.»
Kaum neue Erkenntnisse
Die Methode funktioniert auch diesmal prächtig. «Diego Maradona» ist eine Zeitmaschine, die einen in die 1980er- und frühen 1990er-Jahre zurückversetzt.
Jeder, der nach zwei Stunden in die Gegenwart zurückkehrt, ist um eine Erfahrung reicher. Wer allerdings schon viel über Maradona weiss, wird durch diesen Film kaum klüger. Wirklich neue Erkenntnisse bietet «Diego Maradona» nicht.
Maradona als religiöse Figur
Für cinephile Fussballfreunde drängt sich zudem unweigerlich der Vergleich mit Emir Kusturicas «Maradona» auf.
Der 2008 erschienene Dokfilm des Serben hatte einen originelleren Fokus: Er zeigte Maradona nicht primär als Sportlegende, sondern als politische und religiöse Figur.
Als solche begeistert er noch heute die Massen. Als Fussballer ist er dagegen längst Geschichte.
Kinostart: 5.9.2019