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Film «Finsteres Glück» Kinder vor der Kamera: Eine emotionale Gratwanderung

Ein Junge verliert bei einem Autounfall Eltern und Geschwister. In Stefan Haupts Romanverfilmung «Finsteres Glück» übernimmt ein Achtjähriger die schwierige Rolle eines schwer traumatisierten Jungen. Wie trennen Kinder Spiel und Realität?

Mehr als 50 Kinder hatten sich im Casting für die Rolle des kleinen Yves beworben. Seine Geschichte erzählt Lukas Hartmann im Roman «Finsteres Glück». Stefan Haupt verfilmt den Stoff nun. Die Geschichte lebt primär von inneren Vorgängen und weniger von einer äusseren Handlung.

Nicht nur der plötzliche Tod Yves' Eltern und Geschwister belastet die kindliche Seele. In der Arbeit mit der Psychologin im Spital wird klar: Der Protagonist hat schon früher schreckliche Szenen zwischen Mutter und Vater erlebt. Wahrscheinlich war auch ein elterlicher Streit der Grund dafür, dass der Vater die Kontrolle am Steuer verlor und auf diesem Familienausflug in eine Tunnelwand krachte.

Video
Trailer «Finsteres Glück»
Aus Kultur Extras vom 18.11.2016.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 44 Sekunden.

Enorme Herausforderung

Kein Wunder reagiert Yves im Film zuweilen unverständlich, verkriecht sich unters Bett, ringt um Atem oder rennt plötzlich davon. Für einen achtjährigen Schauspieler eine enorme Herausforderung, konnte er doch kaum nachvollziehen, was dieser verstörte Junge schon alles an psychischem Druck hatte durchmachen müssen.

Stefan Haupt hat für diese wichtige Rolle Noé Ricklin ausgewählt, der im Zürcher Kinder- und Jugendtheater Metzenthin erste Bühnenerfahrungen gesammelt hat. Ein Glücksfall für den Film. Nicht nur wegen Noés aussagekräftigen Augen. Der Junge spielt den Vollwaisen Yves mit einer Intensität, die unter die Haut geht.

SRF Kultur: Wie ist es Ihnen gelungen, dass Noé Ricklin so glaubwürdig in diese Rolle des traumatisierten Yves schlüpfen konnte?

Stefan Haupt: Mit Noé hatte ich eine Abmachung getroffen. Er sollte sich vorstellen, dass Yves ein guter Schulfreund von ihm sei, der diese schlimmen Dinge hatte durchmachen müssen. Mit diesem Trick konnten wir uns immer über Yves unterhalten und gemeinsam überlegen, wie sich diese Erfahrungen für ihn wohl angefühlt haben müssen. Dies ermöglichte Noé seiner Filmfigur Yves nahezukommen, aber doch eine gewisse Distanz zu bewahren. So wurde auch verhindert, dass er sich mit Yves verwechselte.

Deshalb legten wir auch Wert darauf, dass Noé beim Eintreffen auf dem Set immer zuerst die Kleider wechselte. Er trat nicht als Noé, sondern als Yves vor die Kamera, schlüpfte also ganz bewusst in eine Rolle.

Sie trennten also gezielt das Kind Noé vom Waisenjungen Yves?

Dieses Ritual war ein Versuch, spielerisch herausfinden, wie viel wir ihm in dieser Rolle zumuten dürfen. Das ist eine Gratwanderung. Einerseits will ich als Regisseur, dass die Darstellung möglichst echt und realistisch wird, andererseits habe ich ja auch eine Verantwortung und will ihn nicht überfordern.

Ich hatte für die Drehzeit mit Noé auch einen Kindercoach engagiert. Er holte ihn jeweils morgens zuhause ab und brachte ihn abends wieder Heim. Er stand Noé auf dem Set die ganze Zeit zur Verfügung, half ihm, den Text auswendig zu lernen, spielte über Mittag mit ihm Fussball oder Schach. Diese Zusammenarbeit hat sich bewährt. Ich als Regisseur war nur für das Schauspielerische bei Noé zuständig und half ihm, sich in die Rolle einzubringen.

Die Anlage des Films war ein Risiko, aber eines, das ich gerne eingegangen bin.
Autor: Stefan Haupt Regisseur

Kinder sind attraktiv für ein Kinopublikum. Sie sorgen für Emotionen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass ein Film mit jungen Protagonistinnen oder Protagonisten kitschig oder zu sentimental wird. Wie hielten Sie die Balance?

Die Anlage des Films war ein Risiko, aber eines, das ich gerne eingegangen bin. Zuversicht gab mir meine Frau. Sie spielt die Psychologin Elena und hatte eine präzise Art, mit dem Buben umzugehen. Es hat also immer auch mit einem Gefüge zu tun. In der Art, wie die beiden miteinander gespielt haben und aufeinander eingegangen sind, konnten wir steuern, ob der Film am Boden bleibt oder droht, kitschig zu werden.

Nicht von ungefähr gibt es den Spruch unter Profis: «Spiel nie mit einem Kind oder einem Tier, denn sie sind unweigerlich die grösseren Publikumsmagnete.» Dem waren wir uns bewusst. Und ich finde, dass alle Beteiligten grossartig mit Noé zusammengespielt haben. Ohne diesen Respekt wäre es schwierig geworden.

Das Gespräch führte Luzia Stettler.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 16.11.16, 7:20 Uhr

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