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«The Whale»: SRF-Filmredaktor Enno Reins über kontoverse Fatsuits
Aus Audio Aktuell SRF 3 vom 04.10.2022. Bild: A24
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Kontroverse um Fatsuits Von Thor bis «The Whale»: Sind Fettanzüge das neue Blackface?

Mit sogenannten Fatsuits verwandeln sich Filmstars in übergewichtige Charaktere, zuletzt Brendan Fraser in «The Whale». Das sorgt für dicke Luft.

Das hatte sich der Schauspieler Brendan Fraser wohl anders vorgestellt. Der Star aus den 90er-Jahren («The Mummy»), wollte mit der Hauptrolle im neuen Film «The Whale» sein Comeback feiern.

Doch der Film sorgt für kontroverse Diskussionen. Der Grund: Fraser spielt einen 270 Kilogramm schweren, depressiven und schwulen Mann. Um in die Rolle zu passen, trägt der Star einen Fatsuit.

Der Auftritt verstärke negative Stereotype über Übergewichtige, kritisierten Aktivistinnen und Aktivisten. Zudem hätte besser ein tatsächlich übergewichtiger Schauspieler die Rolle übernehmen sollen, so die Forderung.

Es gab auch Kritik an der Kritik. Hollywood solle nicht auf die «Casting-Polizei» hören, fand US-Talkshow-Host Bill Maher. Das einzige, was zähle, sei, die bestmöglichen Schauspielerinnen und Schauspieler für eine Rolle zu finden.

Der Widerstand gegen die Fettanzüge ist allerdings keine Zeiterscheinung. Schon 1996 rügte die Bürgerrechtsorganisation NAAFA Eddie Murphie für einen Fatsuit-Auftritt in «The Nutty Professor». Und 2002 fragte die Feministin Marisa Meltzer im «Bitch Magazine» provokant, ob Fatsuits das neue Blackface seien.

Um zu verstehen, wie der Fettanzug so umstritten wurde, hilft der Blick in die Vergangenheit. Der zeigt: Fatsuits sind schon lange in Gebrauch. Meist wurden sie aber für klischierte Rollen eingesetzt.

Ein monströses Kostüm

Als Filmlegende Orson Welles 1958 in «Im Zeichen des Bösen» einen korrupten Polizeicaptain spielte, stopfte man seinen Anzug mit 30 Kilo Füllmaterial aus. Das sollte ihm ein «monströses» Aussehen verpassen. Welles’ Figur bediente ein Bild, das sich auch später immer wieder in Filmen fand: das des grotesken, gierigen Dicken.

Was ist ein Fatsuit?

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Bei einem Fettanzug oder Fatsuit handelt es sich um einen mit Schaumstoff, Kunststoffgranulat oder Watte gefüllten Anzug, der nur einem Zweck dient: seine Trägerin oder seine Träger übergewichtig aussehen zu lassen. Meist müssen die Schauspielenden zusätzlich mehrere Stunden in die Maske, um ihr Gesicht dem Fettanzug anzupassen.

In eine ähnliche Richtung zielte 25 Jahre später eine Szene in der Monty Python-Satire «Der Sinn des Lebens». Terry Jones, an dessen Körper ein riesiger Helium-Ballon angebracht wurde, spielt einen schwer übergewichtigen Mann. Dieser erbricht im Lauf eines Fressgelages mehrfach, bis er schliesslich explodiert.

Schenkelklopfer und Schlankheitswahn

Seine Blütezeit erlebte der Fatsuit in den späten Neunzigern und Nullerjahren. Ein paar Kilos zu viel zu haben, stand damals nicht hoch im Kurs. Models wie Kate Moss prägten den Zeitgeist mit Mantras wie «Nichts schmeckt so gut, wie sich Dünnsein anfühlt».

Der Fatsuit sollte vor allem für Lacher sorgen, etwa in der Komödie «Schwer verliebt» von 2001. Darin verknallt sich Jack Black in eine dicke Gwyneth Paltrow – allerdings nur mit Hypnose. Kein Mensch, der bei Sinnen ist, würde sich in jemand Übergewichtiges verlieben, so die peinliche Pointe.

Gwyneth Paltrow
Legende: Heute würde man so einen Film nicht mehr drehen: Gwyneth Paltrow (im Fatsuit) und Jack Black in «Schwer verliebt». Imago Images/United Archives

Auch in anderen Komödien aus der Epoche dient der Fettanzug als Schenkelklopfergarant. Die dicken Charaktere waren dabei wahlweise unbeholfen oder gierig. Mike Myers etwa spielte in den «Austin Powers»-Filmen einen Schurken namens «fieser Fettsack», der Babys verspeist.

Das «Friends»-Fettnäpfchen

Leider unvergessen bleibt auch der von Lachkonserven untermalte Auftritt der übergewichtigen Monica in mehreren Rückblenden der Sitcom «Friends». Die plumpe Pointe: Die attraktive Monica war früher dick und deshalb – wie könnte es anders sein? – ständig am Essen.

Es dürfte an solchen Filmen und Serien liegen, dass Aktivistinnen Fatsuits als diskriminierend brandmarken. Sie würden Dicke als das ausserhalb der Norm stehende «Andere» darstellen, so die Kritik. Dies, obschon hier in der Schweiz 42 Prozent der Bevölkerung übergewichtig sind, in den USA gar 73 Prozent. Wenn schon, sind die gestählten Körper der Filmstars die Ausnahme.

«Es ist nicht möglich, durch das Überstreifen eines Anzugs dicke Menschen angemessen und würdevoll darzustellen», erklärt Melanie Dellenbach. Die Aktivistin setzt sich mit ihrem Verein «Body Respect Schweiz» für die Gleichstellung dicker Menschen ein. «Der Fatsuit ist immer eine Verkleidung, die dicke Körper karikiert, und hat nichts mit der Realität zu tun hat.»

Superheld mit Bierbauch

Trotzdem werden die Fettanzüge weiter eingesetzt. Etwa im Marvel-Film «Avengers: Endgame» von 2019. Darin leidet Superheld Thor unter einer Depression. Entsprechend lümmelt der sonst durchtrainierte Schauspieler Chris Hemsworth im Fatsuit auf der Couch herum – für die anderen Filmfiguren Anlass für zahlreiche Sprüche.

Kamera richtet sich auf biertrinkenden Mann im Fatsuit
Legende: Diese Making-Of-Aufnahme zeigt Chris Hemsworth als Thor mit Fatsuit-Bierbauch. © MARVEL STUDIOS

Dabei gab es bereits ein Jahr zuvor einen Fatsuit-Shitstorm: 2018 veröffentlichte Netflix die Serie «Insatiable». Darin spielt die schlanke Schauspielerin Debbie Ryan eine Jugendliche, die wegen ihres Gewichts gehänselt wird. Als sie nach einem Unfall abnimmt, gilt sie plötzlich als attraktiv und schwört auf Rache.

Feministinnen wie die Autorin Roxane Gay sparten nicht mit Kritik an der Serie. Sie stelle dicke Menschen bloss und könne Essstörungen verursachen. Schliesslich lege die Geschichte nahe, der beste Weg gegen Mobbing bestehe darin, viele Kilos in kurzer Zeit zu verlieren.

Mehr als 230'000 Personen unterzeichneten eine Petition, die forderte, «Insatiable» nicht auszustrahlen.  Ohne Erfolg. Es handle sich um eine Satire, die sich gegen Schönheitsnormen richte, rechtfertigte sich Netflix.

Wo bleiben die dicken Stars?

Auch die Kritik am Fatsuit ebbt nicht ab. Kürzlich traf es die Schauspielerin René Zellweger. Sie war für den True-Crime-Serie «The Thing about Pam» in einen Fatsuit schlüpfte. Das sei nötig gewesen, um die Story realitätsnah zu erzählen, sagte sie. Viele Fettaktivisten sahen das anders.

Im Fall von Zellweger ging es dabei vor allem auch um die Repräsentation: «Statt dicke Schauspielerinnen und Schauspieler zu engagieren, wird bekannten Gesichtern ohne Lebenserfahrung als dicker Mensch in unserer Gesellschaft eine Verkleidung übergestülpt», erklärt Aktivistin Dellenbach.

Bis jetzt finden solche Forderungen in der Filmindustrie nur wenig Gehör, wie Brendan Frasers Auftritt in «The Whale» zeigt. «Unser Film ist teuer, also brauchen wir die Zugkraft eines Stars», laute übliche das Argument, erklärt SRF-Filmredaktor Enno Reins. Mehr Diversität sei wünschenswert, aber finanziell riskant.

Kein Vergleich mit Blackface

Von der Behauptung, Fatsuits seien das neue Blackface, möchte Reins dagegen nichts wissen: «Die Diskriminierung von Dicken und Afroamerikanern in den USA ist nicht zu vergleichen. Dicke konnten immer in dasselbe Kino wie alle anderen gehen und problemlos wählen. Für Afroamerikaner war das nicht so.»

Zudem sei Blackfacing eindeutig rassistisch und erniedrigend. «Aber nicht jeder Schauspieler, der Fatsuit trägt, stellt ein negatives Bild eines Dicken dar.»

Pragmatische Gründe

In manchen Fällen sei der Einsatz der Anzüge zudem die beste Lösung. Etwa, wenn eine bereits bekannte Figur wie Superheld Thor nur in einigen Szenen als übergewichtig gezeigt wird. Schliesslich wäre es gesundheitlich nicht möglich gewesen, dass Thor-Darsteller Hemsworth in kurzer Zeit stark zu- und abnimmt.

Die Kritik an Filmen wie «The Whale» dürfte trotzdem nicht so schnell verstummen. Es sei «dringend nötig, dicke Schauspielerinnen und Schauspieler auszubilden, zu engagieren und Drehbücher zu schreiben, die über stereotype Darstellungen dicker Menschen hinausgehen», sagt Melanie Dellenbach. Ob Hollywood auf solche Forderungen reagiert, bleibt allerdings unklar.

Radio SRF 3, 4.10.2022, 16:20 Uhr

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