Wie klingt ein Salzstreuer? Wie ein leeres Silo? Und wie eine Wiese? Genau das will Julian Sartorius wissen. Der Berner Schlagzeuger erkundet die Welt mit zwei Schlägeln. Was ihm begegnet, bespielt er mit seinen Drumsticks – immer auf der Suche nach dem schönsten Klang.
«Die Klänge sind alle da, sie sind im Material gespeichert. Ich muss sie nur hervorholen», sagt er in die Kamera von Gitta Gsell. Die Regisseurin hat Sartorius auf seinen Streifzügen begleitet: auf dem stillgelegten Industriegelände, auf der Alp, am Fluss.
Viele Geräusche und doch leise
Gsell experimentiert schon länger mit der Visualisierbarkeit akustischer Phänomene. «Melody of noise» ist bereits ihr dritter Musikfilm. Stand bei «Irène Schweizer» (2005) noch eine Einzelperson im Zentrum, hat Gsell mit «Bödele» (2010) schon ein kollektives Klangphänomen portraitiert: den Innerschweizer Volkstanz, den Flamenco, den Stepptanz. Laute, stampfende Ausgelassenheit.
«Melody of Noise» ist ruhiger, auch stiller. Trotz der Fülle an Geräuschen und Klängen ist es ein sanfter Film, einer, der den Zuschauern vieles offenbaren kann – aber sich nicht aufdrängt. Die Bilder gehen assoziativ ineinander über: ein Baum, der im Wind rauscht, eine Autobahn, ein Schrottplatz.
Ein Xylofon aus Gummirohr
Auf dem Schrottplatz sucht das Schlagzeugduo «Bubble Beatz» Teile für ihr neues Schlagzeug – und finden alte Gummirohre. Im Atelier werden diese exakt zurechtgesägt. Das Stimmgerät auf dem Smartphone kontrolliert die richtige Tonhöhe. Das Ergebnis: ein Gummirohr-Xylofon, das von den Schlagzeugern im dunklen Club mit alten Schuhsohlen bespielen. Und das Publikum tanzt sich in Ekstase.
Ein weiterer Protagonist ist Bruno Spoerri. Er dirigiert zwei Spielzeugroboter. Dieser Geräuschemix ist nicht tanzbar. Der 80-jährige Jazzmusiker ist der älteste der Protagonisten, aber kein bisschen müde, auf Klangsuche zu gehen. Auf einer Reise begegnete ihm ein quietschendes Gartentörli. Dessen Klang nahm er auf, nun spielt er ihn vor, stolz wie ein Kind.
«Ich denke, der Unterschied zwischen Musik und Lärm ist nur, ob man hinhören will oder nicht», sagt Bruno Spoerri. «Jede Musik und alles kann Lärm sein, in dem Moment, wo man nicht will, dass das jetzt stattfindet.»
Wo sind die Frauen?
Schade, dass sich unter Gitta Gsells Porträtierten keine Klangkünstlerinnen finden. Sind Basteln, Forschen und das Durch-die-Welt-ziehen – also das Daniel-Düsentrieb-Phänomen – vor allem männliche Eigenschaften?
Man darf von einem Dokumentarfilm erwarten, dass er sich dieser Frage stellt. Gitta Gsell hat dies nicht getan – zugunsten einer künstlerischen Gestaltung. Denn ihr Film ist kein reiner Dokumentarfilm, sondern ein sehr ästhetisches Panorama, ein Pas de deux von Bildern und Klängen.
Damit will sie erreichen, dass die Zuschauer ihre Kopfhörer abnehmen, die Berieselung abstellen, die abschottenden Ohrstöpsel ablegen. Dass sie ihre Ohren öffnen, genau hinhören, wie unsere Welt klingt. Gsells Film ist eine Anleitung dazu. Weil die Kamera den Fokus auf all die Dinge lenkt, die Geräusche machen. Und die zusammen eine Melodie ergeben – eine «Melody of Noise».