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Miloš Formans Meisterwerk Als Jack Nicholson rebellierte: 50 Jahre Kultfilm «Kuckucksnest»

Miloš Formans Tragikömodie gilt als eines der eindrucksvollsten filmischen Zeitdokumente der 1970er-Jahre. Sie markiert einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung von Psychiatrie, Machstrukturen, Zwangsmassnahmen und gesellschaftlicher Anpassung.

«Einer flog über das Kuckucksnest» feierte am 19. November 1975 Premiere. Der Film erzählt die Geschichte des Kleinkriminellen und Sexualstraftäters Randle McMurphy. Der lässt sich in eine psychiatrische Klinik einweisen, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen.

Anfangs wirkt er wie ein Einzelgänger, doch bald wird er zum Unruhestifter und ermutigt Mitpatienten, eigene Entscheidungen zu treffen.

Mann in weissem Hemd lächelt und hält Wasserhahn.
Legende: Der selbstbewusste McMurphy (Jack Nicholson) fällt in der psychiatrischen Klinik vom ersten Moment an durch nonkonformes Verhalten auf – das sorgt für deutliche Konflikte. IMAGO/Ronald Grant

Miloš Formans Film war ein Schock für das Kinopublikum. Die psychiatrische Klinik erscheint als Schauplatz der Entmenschlichung und Unterdrückung – als ein System, das massiv in Selbstbestimmung und Persönlichkeit eingreift.

Das System der Unterdrückung im Film

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«Man sieht lange Kameraeinstellungen, in denen immer Gitter erkennbar sind», sagt der Wiener Humanmediziner Daniel Vitecek, der zur Darstellung von Psychiatrie in der Kunst forscht.

«Es gibt kaum eine Einstellung in diesem Film, wo nicht irgendwo eine versperrte Tür auftaucht.» Forman, der aus der kommunistischen Tschechoslowakei in die USA emigriert war, habe wohl ein besonderes Gespür dafür besessen, wie Unterdrückung in einem totalitären System funktioniere, so Vitecek.

Dokumentarischer Blick

Forman inszenierte mit dokumentarischer Strenge: Viele Szenen entstanden in einer realen psychiatrischen Klinik, einige Darsteller waren selber Patienten. Auf der Leinwand werden sie vom Anstaltspersonal mit Medikamenten ruhiggestellt und mit Elektroschocks behandelt.

Das Gesicht dieses repressiven Systems: Stationsschwester Ratched – eine Figur, die Macht, Disziplin und Kontrolle verkörpert.

Der Film traf auf eine Zeit grosser gesellschaftlicher Fragen: Was bedeutet Heilung? Wer definiert Normalität? Und darf ein System Menschen gegen ihren Willen behandeln oder gar wegsperren?

Aufstand gegen die Weisskittel

In den 1970er-Jahren formierte sich in Deutschland, Grossbritannien, Italien und den USA eine vielfältige Bewegung, die die Psychiatrie radikal infrage stellte.

Der Düsseldorfer Medizinhistoriker Heiner Fangerau erklärt: «Sie fragte grundsätzlich, ob die Psychiatrie den falschen Blick auf den Menschen hat. Ob das, was sie als Krankheit bezeichnet, nicht vielmehr ein Symptom gesellschaftlicher Verhältnisse ist.»

Viele Aktivistinnen und Aktivisten kritisierten, so Fangerau, dass Menschen, die als psychisch krank etikettiert wurden, überhaupt als krank angesehen würden. Tatsächlich glichen psychiatrische Kliniken in vielen westlichen Industriestaaten geschlossenen Welten: lange Gänge, Gitterbetten, Fixierungen, Elektroschocks.

Wer einmal dort landete, wurde dort über Jahre verwahrt. Dagegen formierte sich ein Netzwerk aus Reformideen, Prostest und philosophischem Kritik, die «Antipsychiatrie».

Umstrittenes Verfahren

Im Zentrum der Kritik stand – und steht – die Elektrokrampftherapie. Was im Film zum Sinnbild psychiatrischer Gewalt wurde, prägt bis heute die öffentliche Wahrnehmung. «Das im Film gezeichnete Bild einer brutalen, grausamen Methode hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt», sagt Fangerau.

«Obwohl die Elektrokrampftherapie bei bestimmten Erkrankungen als wirksam gilt, war sie für viele Menschen nach diesem Film kaum mehr vermittelbar. Dort erscheint sie nicht als Therapie, sondern als Strafe. Und das wird von Psychiatern sehr kritisiert.»

Der Zweifel bleibt

«Einer flog übers Kuckucksnest» war damit weit mehr als ein Kinofilm. Forman zeigte einer breiten Öffentlichkeit, was sich hinter geschlossenen Kliniktüren abspielte: Machtmissbrauch, Zwang und entwürdigende Zustände.

Seither hat sich die Psychiatrie verändert. Doch das Aufbegehren des Protagonisten McMurphy wirkt nach – als bleibende Mahnung an eine Institution, die beansprucht zu wissen, was für Menschen gut ist.

Das prämierte Meisterwerk

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Zwei Personen küssen sich auf einer Preisverleihung, halten Trophäen.
Legende: 1976: Schauspieler Jack Nicholson (Randle McMurphy) und Schauspielerin Louise Fletcher (Mildred Ratched) präsentieren stolz ihre Oscars für «Einer flog über das Kuckucksnest». IMAGO/ZUMA/Keystone

«Einer flog über das Kuckucksnest» wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet, den sogenannten Big Five: Bester Film, Beste Regie, Bestes adaptierte Drehbuch und beide Hauptdarstellerpreise für Louise Fletcher und Jack Nicholson.

Das Drehbuch beruht auf dem gleichnamigen Roman des US-Schriftstellers Ken Kesey. Der arbeitete Anfang der 1960er-Jahre im kalifornischen Menlo Park Veterans Hospital – nachts als Pfleger einer psychiatrischen Klinik, tagsüber als Versuchsperson an staatlich finanzierten Forschungsversuchen mit LSD und anderen Psychedelika. Der 1962 publizierte Roman wurde zur Parabel auf ein System, das den Wahnsinn erzeugt, den es zu heilen vorgibt.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 19.11.2025, 17:20 Uhr

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