«Die Schweizer arbeiten sechs Tage die Woche für Hitler. Am siebten Tag beten sie für den Sieg der Alliierten.» So habe man in Deutschland über die Schweiz gesprochen, erzählt der fiktive Botschafter Heinrich Zwygart (Michael Neuenschwander) beinahe stolz.
Der Gesandte war während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland stationiert. Zurück in der Schweiz rechnet er sich nun Chancen auf eine Stelle als Bundesrat aus.
Schliesslich habe er alles in seiner Macht Stehende getan, damit die Schweiz den Krieg unbeschadet übersteht. Vor seiner Abreise aus Deutschland verbrennt Zwygart Fotos von Hitler und mehrere Dokumente.
Zum Sündenbock gemacht
Doch in der Schweiz hat sich das Blatt gewendet: Die aktuelle Regierung setzt alles daran, zu den Gewinnern des Krieges zu gehören. Wenn man sich auf die Seite der Alliierten stellen will, machen Vernetzungen zu Nazis keinen guten Eindruck.
Heinrich Zwygart wird zum Sündenbock gemacht. Auch wenn er in den meisten Fällen nicht auf eigene Faust, sondern auf Geheiss der Schweizer Regierung gehandelt hat.
Darüber hinaus verfolgen ihn auch noch im wahrsten Sinne des Wortes Geister aus der Vergangenheit, die ihm die Folgen seines Verhaltens immer wieder vor Augen führen. Der Vorzeigediplomat rutscht immer weiter ab und droht, alles zu verlieren.
Von wahren Begebenheiten inspiriert
Für seinen Spielfilm «A Forgotten Man» liess sich der Westschweizer Regisseur Laurent Nègre von Thomas Hürlimanns Theaterstück «Der Gesandte» aus dem Jahr 1991 inspirieren.
Der Hauptfigur im Stück liegt wiederum der reale Gesandte Hans Frölicher zugrunde. Dieser war von 1938 bis 1945 in Berlin stationiert und unterhielt tatsächlich enge Beziehungen zu Nazigrössen.
Hitler-Attentäter im Stich gelassen
«A Forgotten Man» vermischt allerdings Fiktion und Realität noch weiter. Das zeigt sich spätestens, als der Name Maurice Bavaud im Film auftaucht.
Der echte Maurice Bavaud war ein junger Schweizer, der 1938 einen Anschlag auf Hitler plante, festgenommen wurde und dem die Schweizer Politik jeden Beistand verwehrte.
Regisseur Laurent Nègre will die Schweizer Bevölkerung mit seinem Film zum Nachdenken über die Rolle des Landes während des Zweiten Weltkriegs anregen.
Sich der eigenen Vergangenheit stellen
«Die Gewissheit der Mehrheit, im Krieg ‹so gehandelt zu haben, wie man konnte›, ist immer noch stark», wird der Regisseur im Presseheft zum Film zitiert. «Sie hat es den Schweizerinnen und Schweizern ermöglicht, bis heute eine gewisse Gelassenheit in Bezug auf die Rolle ihres Landes im Zweiten Weltkrieg zu bewahren.»
Seither sträube sich die Schweiz dagegen, ihre Rolle zu klären, sagt der Regisseur. «Insbesondere im Banken-, Industrie- und Militärsektor.»
«A Forgotten Man» soll dem entgegenwirken. Der Film ist deshalb besonders in jenen Momenten stark, in denen er die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Und den Umgang der Schweizer Bevölkerung mit der eigenen Vergangenheit.
Kinostart «A Forgotten Man»: 30. März 2023