Der mittelalte, hagere Mann mit Bart und dem eindringlichen Blick hört zuerst im Radio davon. Eine Epidemie breitet sich aus. Die Spitäler füllen sich mit Menschen, die nicht mehr wissen, wer sie sind.
In den Gassen bilden sich Staus, weil einer plötzlich anhält, aus dem Auto steigt und nicht einmal mehr weiss, dass er ein Auto besitzt.
Neue Erinnerungen schaffen
Dann wird auch die Hauptfigur ohne Papiere und ohne Erinnerung aufgegriffen und ins Krankenhaus eingewiesen. Weil sich niemand meldet, der ihn vermisst, landet er in einem Wiedereingliederungsprogramm namens «Neue Identität».
Der Mann erhält eine Wohnung und soll lernen, wieder allein zu leben. Zu diesem Zweck muss er verschiedene Aufgaben erledigen, die per Kassette im Briefkasten landen. Sie sind so simpel wie absurd – Velofahren etwa, ein Auto in einen Baum fahren, sich im Kino ein Kettensägenmassaker anschauen.
Beim Ausführen dieser Aufgaben muss sich der Mann fotografieren. So lernt er eine ebenso identitäts- und namenlose Frau kennen, mit der er sich anfreundet.
Analog statt digital
Angesiedelt ist «Apples» in einer Zeit, die sehr gegenwärtig wirkt. Allerdings ist hier alles komplett analog: Statt digitaler Speichermedien gibt es Kassettengeräte für Stimmen und Musik und Polaroid-Kameras für die Erinnerungsbilder. Auch die Stadt, in der der Film spielt, ist namenlos, aufgeräumt und leer.
Christos Nikou steht in der Tradition der sogenannten «Greek Weird Wave», die sich den absurden Realitätsverschiebungen verschrieben hat. Kein Wunder: Nikou sein Handwerk als Assistent von Yorgos Lanthimos und Filmen wie «Dogtooth» (2009) gelernt. In «Apples» klingt aber auch das absurde Theater eines Beckett oder Ionesco der 1950er-Jahre an.
Eindringlicher Hauptdarsteller
«Apples» lebt von seiner Hauptfigur – und somit vom Spiel des Hauptdarstellers Aris Servetalis. Mit reduzierter Mimik und sparsamem Spiel führt er seine namenlose Figur durch den Film. Und doch wächst dieser verloren wirkende Typ einem schnell ans Herz.
Christos Nikous Film ist eine sehr langsame und ruhige Reflexion über Vergessen und Erinnerung, über das Vergessen-Wollen und Erinnern-Lernen – und ein Film, der eher Novelle als Epos ist.
Es gibt wenig Wendungen und grosse Gefühle, der feine und sehenswerte Film gibt sich zurückhaltend und bewegt sich zwischen leiser Komik und Melancholie.
Kinostart: 18.08.2021