Der Film beginnt mit den Umrissen einer älteren Frau, die ihre Fanpost liest. Dessen Inhalt bringt eine Knabenstimme in wenigen Worten auf den Punkt: «Hallo Astrid! Ich frage mich, warum du so gut darüber schreiben kannst, wie es ist, ein Kind zu sein.»
Eine ausformulierte Antwort auf diese Frage wird Pernille Fischer Christensens «Astrid» nicht liefern. Und doch müsste man ziemlich begriffsstutzig sein, um die allzu simple Botschaft zu verpassen: Der Schlüssel zu Astrid Lindgrens literarischem Schaffen ist in ihrer bewegten Biografie zu finden.
Astrid lässt ihre Zöpfe tanzen
Eine südschwedische Provinz in den 1920er Jahren: Eingeführt wird die junge Astrid als keckes Mädchen, das seine Zöpfe tanzen lässt. Dass man sofort an Lindgrens berühmten Wildfang Pippi denkt, ist erwünscht.
Das Biopic setzt auf solch eingängige Parallelen. Und hat dafür eine Hauptdarstellerin gefunden, die selbst stark von Pippi geprägt wurde. Im Interview gibt sie preis, dass sie sich mit prinzessinnenhaften Filmheldinnen wie Cinderella nie identifizieren konnte: «Mit Pippi dagegen schon. Sie zeigte mir, dass es okay ist, nicht wie Cinderella zu sein.»
Astrid sprengt das moralische Korsett
Fast noch ein Kind ist auch Astrid, als sie ihr Volontariat bei einer Ortszeitung beginnt. Mit 17 entdeckt sie so ihre Passion fürs Schreiben – und andere wichtige Dinge. Schon mit 18 ist sie schwanger – von ihrem Chef, einem x-fachen Familienvater.
Im Drama packt Astrid ihre ganze Verzweiflung in folgende Worte: «Ich kann hier nicht bleiben. Was mach ich mit meinem Bauch? Wenn er wächst … Ich kann mich nirgendwo mehr blicken lassen.»
Um dem Skandal zu entfliehen, bringt die junge Astrid das Kind in Dänemark zur Welt und übergibt es dort schweren Herzens in die Obhut einer Pflegemutter. Diese biografischen Eckpunkte seien der Schlüssel zum Verständnis von Astrid Lindgrens späterem Schaffen, sagt der Film.
Pippis Wurzeln in der Popkultur
Eine rein biografische Betrachtungsweise führe zu einer verkürzten Sicht, findet dagegen Pippi-Experte Klaus Mülller-Wille. Für den Nordistik-Professor der Universität Zürich sind andere Inspirationsquellen wichtiger.
Er hebt insbesondere Pippis Verankerung in der Populärkultur hervor: «Eines ihrer Vorbilder – das kann man sehr schön dokumentieren – ist Superman. (…) Und ich glaube, dass diese Rolle dann eben nicht durch einen kleinen Jungen, sondern durch ein kleines Mädchen besetzt wird, das ist ganz bewusst gemacht.»
Astrid Lindgren selbst nannte als Inspiration Mary Pickford, den Stummfilmstar aus den 20ern. Von ihr habe Pippi Langstrumpf nicht nur das Anarchische, sondern auch das feministische Selbstbewusstsein, der Männerwelt die Stirn zu bieten.
Ikone des Feminismus und der Freiheit
Für «Astrid»-Regisseurin Pernille Fischer Christensen ist Pippi darum ein grosses Vorbild: «Pippi ist nicht nur eine feministische Ikone. Sie verkörpert auch die Freiheit. Wenn ich meinem Mann sage: Sei ein bisschen mehr wie Pippi. Dann fordere ich ihn dazu auf, weniger kleinkariert zu sein.»
Von Pippi nun aber wieder zurück zu ihrer wesensverwandten Schöpferin: Astrid Lindgren. Ob deren Werk von ihrem dramatischen Lebensweg wirklich so stark beeinflusst wurde, wie der Film behauptet, sei dahingestellt. Etwas ist dagegen unbestritten: In «Astrid» steckt so viel von Pippi, dass man beschwingt den Kinosaal verlässt.
Kinostart: 6.12.2018