Zum Inhalt springen

Neu im Kino «Chris the Swiss»: Ein Schweizer Kriegsreporter wird zum Krieger

Ein junger Mann reist 1989 als Kriegsreporter nach Kroatien. Drei Jahre später ist er tot. Warum? Eine animierte Spurensuche.

«In diesem gottverdammten Land bringen sich die Leute gegenseitig um, verstümmeln sich gegenseitig zu einem Klumpen Fleisch. Fuck why?» Diese Notiz findet die Filmemacherin Anja Kofmel in den Notizbüchern von ihrem Cousin Christian Würtenberg, genannt Chris.

Er will vom Jugoslawienkrieg als Journalist berichten. Anja Kofmel ist ein kleines Mädchen, als er 1992 in Kroatien unter mysteriösen Umständen umkommt. Was ist passiert?

Im animierten Dokumentarfilm «Chris the Swiss» geht die Regisseurin 25 Jahre später auf Spurensuche, vollzieht Christians Reise nach und spricht mit Menschen, die ihn kannten.

SRF/SRG-Koproduktion

Box aufklappen Box zuklappen

Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) und die SRG haben diesen Film koproduziert.

Anja Kofmel findet heraus: Ihr Cousin hängte den Reporterjob an den Nagel und schloss sich einer rechtsextremen Söldnerbrigade an. Warum tat er das, wenn er den Krieg eigentlich verabscheute? Die Frage, wie und warum Chris starb, wird immer rätselhafter.

Top-Terrorist «Carlos»

Eine Überraschung: Während ihrer Recherchen stösst die Regisseurin in den Notizen von Chris auf den Namen «Carlos». Den Namen kannte in den 1970er- und in den 1980er-Jahren fast jeder.

Porträt Carlos der Schakal.
Legende: Der venezolanische Terrorist «Carlos, der Schakal», hat zahlreiche internationale Anschläge verübt. Keystone

«Carlos», mit bürgerlichen Namen «llich Ramirez Sanchez», war damals einer der meistgesuchten Terroristen, der für Flugzeugentführungen, Geiselnahmen und Attentate verantwortlich war. Er sitzt seit 1994 in Frankreich im Gefängnis.

Kofmel kann tatsächlich mit dem Terroristen sprechen. «Carlos» erklärt ihr, warum seiner Meinung nach Chris sterben musste: «Er war ein Spion des Schweizer Geheimdienstes, deshalb haben sie ihn umgebracht.»

Carlos, der Schakal im Gerichtssaal.
Legende: «Carlos, der Schakal» wurde 1997 in Paris der Prozess gemacht. Keystone

Das bleibt eine Behauptung. Kofmel findet keine weiteren Hinweise, die die Aussage des Terroristen belegen.

Gezeichnete Realität

«Chris the Swiss» ist kein einfacher Dokumentarfilm. Anhand der Notizen ihres Cousins versuchte sich die Regisseurin vorzustellen, wie Chris in Kroatien gelebt hatte.

Zeichnung zwei Männer mit Sturmmaske und Gewehr sitzen am Boden.
Legende: Regisseurin Anja Kofmel animierte mit einem 35-köpfigem Team die Bilder für den Animadok. Dschoint Ventschr Filmproduktion

Wie man diese spekulativen Momente bebildert, war die Frage, die sich ihr stellte. Kofmel entschied sich für die Hybridform des animierten Dokumentarfilms (auch Animadok genannt).

Geschichte des Animadoks

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Animierte Dokumentarfilme gibt es schon lange. «The Sinking of the Lusitania» ist der erste und stammt von 1918. Den Kurzfilm kreierte der amerikanische Comiczeichner Winsor McCay. Er zeigte, wie 1915 das Passagierschiff Lusitania von der deutschen kaiserlichen Marine angegriffen wurde. Ein einziges Bild diente ihm dazu als Vorlage.

Nicht immer entstehen Animadoks, weil es nicht genug Bilder gibt. In «Waltz with Bashir» geht es um den Libanonkrieg von 1982. Der Film wurde zuerst im Studio gedreht und die Realaufnahmen im Nachhinein übermalt. «Waltz with Bashir» war international sehr erfolgreich und 2009 für den Oscar nominiert. Seit seinem Erfolg werden immer mehr Animadoks produziert.

Für die Zeichnungen in «Chris the Swiss» arbeitete Anja Kofmel mit 35 Zeichnern. Eine Sekunde Animation entspricht neuneinhalb Stunden Arbeit. Insgesamt arbeitete die Regisseurin sechs Jahre an ihrem Film.

Film-Fazit

Man steht alleine auf Strasse, von hinten.
Legende: «Chris the Swiss» ist Anja Kofmels erster Dokumentarfilm. Dschoint Ventschr Filmproduktion

Gefilmte und gezeichnete Bilder verschmelzen bei «Chris the Swiss» zu einer spannenden Geschichte. Das ist die Stärke von Anja Kofmels erstem Langfilm: Sie setzt im richtigen Moment auf Animation, lässt gleichzeitig ihren Interviewpartnern genug Platz. Eine Mischung, mit der sie ins Schwarze trifft.

Kinostart: 13. 9.2018

Meistgelesene Artikel