«Execution is everything» ist die Lieblingsformel all jener, die die Form über den Inhalt stellen: Nicht die Idee sei entscheidend, auf die Umsetzung komme es an. Gemessen an der Realisierung, ist Finchers «The Killer» nahezu perfekt.
Cinephile werden sofort merken: Da war ein Könner am Werk. Einer, der sein Metier besser beherrscht als die allermeisten seiner Berufskollegen. Ein echter Profi ist auch der namenlose Protagonist (makellos gespielt von Michael Fassbender), der für gutes Geld Böses tut.
Der perfektionistische Nihilist, für den Moral, Sinn und Karma reine Konstrukte sind, hält sich bloss an seine eigenen Regeln. Diese ruft er sich – fast wie ein Mantra – immer wieder in Erinnerung: «Halte dich an deinen Plan. Vertraue niemandem. Untersage dir Empathie.»
Die Leere im Kopf des Killers
«Es ist erstaunlich, wie anstrengend es sein kann, nichts zu tun», erfahren wir ganz zu Beginn und begreifen: Was wir da hören, sind die Gedanken des namenlosen Killers, der sich viel Mühe gibt, möglichst wenig zu denken.
Schliesslich wäre es kontraproduktiv, das eigene Tun zu ergründen. Stattdessen lässt uns die Titelfigur wissen, dass stundenlanges Warten zum Geschäft gehört: «Wenn du Langeweile nicht aushalten kannst, ist der Beruf nichts für dich.»
Spricht da der Killer direkt mit uns? Oder lauschen wir bloss einem inneren Monolog? Auf jeden Fall wird mit dieser Erzählweise eine Unmittelbarkeit hergestellt, wie Regisseur David Fincher nach der Weltpremiere in Venedig bestätigte: «Der Film soll einen förmlich aufsaugen. Darum haben wir das Aufnahmegerät quasi im Schädel des Protagonisten platziert.»
Vom gefühlskalten Jäger zum rachsüchtigen Gejagten
Wer ist dieser Mann, der sich hinter dem Outfit eines deutschen Touristen versteckt, um möglichst wenig mit anderen Menschen reden zu müssen? Wirklich nah kommt man diesem Yoga praktizierenden Soziopathen nicht, obwohl sich die Kamera nie weit von ihm entfernt.
Der Entwicklung seines Charakters liegt kein tiefgreifender innerer Wandel zugrunde. Sie ist vielmehr die Folge eines missglückten Auftrags, der den Jäger über Nacht zum Gejagten macht. Als dem Kontrollfreak das klar wird, sieht er nur einen Ausweg: alle auszulöschen, die hinter den Auftragsmorden stecken.
Fincher selbst legt Wert auf die französischen Wurzeln seiner jüngsten Regiearbeit: Einerseits wäre da der Comic «Le Tueur» von Alexis Nolent und Luc Jacamon zu nennen, die Autor Andrew Kevin Walker («Se7en») als Vorlage diente. Andererseits aber auch ein Meilenstein des Genrekinos: «Le Samouraï» («Der eiskalte Engel») von Jean-Pierre Melville von 1967.
Auf den Spuren des «eiskalten Engels»
Auch wenn David Fincher gerne von Alain Delons Performance in «Le Samouraï» als Inspirationsquelle schwärmt: Dass «The Killer» ein Herzensprojekt und keine Auftragsarbeit für Netflix sein soll, kaufen dem imagebewussten Amerikaner wohl nur Fans ab.
In Finchers Oeuvre wird «The Killer» keine wichtige Rolle einnehmen. Ganz anders John Woos «The Killer» (1989). Der Hongkong-Hit gilt für als einer der besten Actionfilme aller Zeiten.
Wer sich nach einem würdigen Nachfolger von Melvilles eiskaltem Engel sehnt, sollte sich also nicht an Fincher, sondern an Woo halten. Zumal dieser bald ein Remake seines eigenen Meisterwerks präsentieren wird, der wie «Le Samouraï» ganz in Paris verankert ist.
Kinostart: 26.10.2023