Lange Zeit schien es, als ginge der kleine Nick dem Filmpublikum eher gegen den Strich: Die erste «Petit Nicolas»-Realverfilmung von 2009 war zwar mit 5,5 Millionen Eintritten ein Erfolg. Doch mit den zwei nächsten Verfilmungen mit wechselnden Jungdarstellern schwand das Interesse zunehmend.
Auch die rudimentär animierte Serie für Kleinkinder, die sich durchs TV-Vormittagsprogramm zog, konnte dem nicht abhelfen. Die Luft schien raus zu sein. Niemand rechnete mehr mit einem anständigen Revival, das die Finesse des Originals einfangen würde.
Jetzt kehrt der schelmische Pariser Schulbub ins Kino zurück – in einer respektvollen Form, die auch die erwachsenen Fans der mittlerweile über 60 Jahre alten Geschichten ansprechen wird.
Der Animationsfilm «Der kleine Nick erzählt vom Glück» konzentriert sich auf das, was die Bildergeschichten zu Kunstwerken machte: Jean-Jacques Sempés verschmitzte Tableaus und René Goscinnys dem Kindermund entlehntes Vokabular.
Die beiden Schöpfer im Zentrum
Zu Beginn des Films begegnen sich der Zeichner Sempé und der Texter Goscinny auf der sonnigen Terrasse eines Pariser Bistros. Die beiden Künstler – ebenfalls Zeichentrickfiguren – erfinden bei einem nachmittäglichen Glas Rotwein den «Petit Nicolas».
Alsbald entsteigt ein lebendiger kleiner Nick dem Papier, tanzt bei Goscinny auf der Schreibmaschine und bei Sempé auf dem Tintenfass herum: Er will mitreden bei den Abenteuern, die sich seine Schöpfer ausdenken.
Zum Einstieg ein höflicher Verweis darauf, wo der kleine Nick herkommt, denkt man sich. Eine kurze Verneigung vor den beiden verstorbenen Autoren.
Doch der Film wechselt nicht einfach auf die Ebene der klassischen Nick-Geschichten (wie «Das Klassenfoto», «Omas Besuch» oder «Das Sommerlager»), sondern bebildert dazwischen auch ausführlich die Biografien der beiden Macher – ebenfalls stark inspiriert von Sempés treffsicherer Ästhetik.
Nostalgie mit doppeltem Boden
Das Ergebnis ist ein narrativ komplexer Film, der die vorlauten, teils naiven Meinungen des «Petit Nicolas» geschickt in einen Bezug zu den weit abgeklärteren, aber immer optimistischen Haltungen zweier Künstler setzt, die in ihrem Leben schon viele Rückschläge erlebt haben. Beide hatten anders als ihr gezeichneter Schützling keine einfache Kindheit. Deshalb gönnen sie ihm diese umso mehr.
Auf den ersten Blick ist «Der kleine Nick erzählt vom Glück» ein Film für ein nostalgisch gestimmtes Publikum. Er dürfte vor allem diejenigen ansprechen, die sich durch die werkgetreue Aufbereitung der Originale in die eigene Kindheit versetzt fühlen, als sie mit den Büchern Lesen lernten oder erste Französischlektüren meisterten. Nun können sie ihre Enkelkinder ins Kino mitnehmen.
Dabei suhlt sich der Film jedoch nicht in banal-verklärendem Retro-Charme. Er gibt durch seine Meta-Ebene zu verstehen: Diese gezeigte, heile Welt gibt es nur in der Fantasie.
Gerade deshalb verbringt man noch so gerne 90 Minuten in diesem Pappkarton-Frankreich à la Jacques-Tati: Weil man diese Welt des kleinen Nick keine Sekunde mit der Realität zu verwechseln braucht.
Kinostart: 1.12.2022