Die Kamera fährt über ein Dutzend schwarzer schlafender Soldatenkörper in einer offenen Dschungelhütte. Schnitt. Plötzlich befinden wir uns auf einer Strasse in Europa. Mikhail und sein Freund Aleksei (Franz Rogowski) sind auf der Flucht.
Sie fahren mit einem Bus voller Fussballfans aus Belarus nach Polen und setzen sich bei der ersten Gelegenheit Richtung Frankreich ab. Die letzte gefährliche Flussüberquerung überlebt Mikhail nicht, Aleksei schlägt sich nach Paris durch und heuert bei der Fremdenlegion an.
Alekseis Ziel: eine Aufenthaltsgenehmigung mit Aussicht auf die französische Staatsbürgerschaft. Die Fremdenlegion lockt mit ihrem Mythos einer komplett neuen Existenz für jeden, der willens ist, für die französische Staatsräson fünf Jahre lang sein Leben aufs Spiel zu setzen.
Schicksalsbegegnungen im Dschungel und in Paris
Bei seinem ersten Einsatz als Fremdenlegionär, dem Versuch einer Geiselbefreiung im Niger-Delta, bringt Aleksei im Fluss im nächtlichen Zweikampf Jomo (Morr Ndiaye) um, den charismatischen Anführer der lokalen Befreiungsbewegung.
Zurück in Paris trifft er auf Jomos Schwester Udoka (Laetitia Ky), die wie Jomo zwei unterschiedliche Augenfarben hat. Sie weiss nichts von der Last, die Aleksei fast erdrückt, und auch Aleksei weiss nicht, dass es sich bei Udoka um die Schwester des Ermordeten handelt.
Aleksei träumt von den beiden, doch nicht nur das: Bald schon schimmert sein Auge selbst im gleichen goldfarbenen Ton wie bei den beiden Geschwistern.
Zwei Stränge bis zum Aufeinandertreffen
Abbruzzese gelingt mit «Disco Boy» eine mehrfache filmische Fusion. Hier der Militär-Ausbildungsfilm, die Bootcamp-Sequenzen, die ein eigenes Kinogenre bilden. Dort die Reise ins Herz der Finsternis. Und zuletzt die schicksalshafte Begegnung des Mörders Aleksei mit der Schwester des Ermordeten.
Dabei erzählt er zunächst in zwei Strängen: von den angehenden Fremdenlegionären – und von den Freiheitskämpfern im Niger-Delta. Dort, wo die beiden Exponenten im nächtlichen Zweikampf schicksalshaft aufeinander treffen.
Der ganze Kampf zwischen Alksei und Jomo ist mit einer Wärmebildkamera gefilmt. Das ergibt Bilder, die an die Predator -Filme erinnern.
Dieser Film verführt
Das alles ergibt keinen völlig stringenten Film, auch wenn sich handlungsmässig alles ineinanderfügt.
Aber gerade die vielen Anklänge ans Genre-Kino geben «Disco Boy» etwas Verführerisches. Der Film zeigt den Legionärsmythos vom Neuanfang und die Erkenntnis, dass man nur seine äussere Identität ablegen, aber nicht sich selbst erneuern kann. Das alles ist auf eigenartig zwiespältige Art attraktiv.
Kinostart: 29.6.2023