«Du stinkst!», sagt die Zigarettenraucherin ihrem Mitbewohner unverblümt. «Tja, jede Blume hat ihren Duft», pariert der Attackierte die Stichelei selbstbewusst. Ein typischer Dialog aus der Küche der Gebrüder Zürcher, die das Alltägliche gerne mit Witz und Poesie überhöhen.
Die beschriebene Szene stammt aus «Das Mädchen und die Spinne», dem zweiten Kammerspiel der Zwillingsbrüder, die hierzulande kaum einer kennt. Global geniessen die beiden dagegen einen respektablen Ruf: Als Schweizer Autorenfilmer, die sich bereits in jungen Jahren eine unverkennbare Handschrift erarbeitet haben.
Ihre erste cineastische Duftmarke setzten die zwei Grenzgänger zusammen in Berlin – zum Tiefstpreis von 15’000 Franken. Mit «Das merkwürdige Kätzchen» schlossen die beiden 2013 ihr Filmstudium ab. Zugleich lancierten sie damit ihre internationale Festivalkarriere, die ihnen viele Auszeichnungen einbrachte. Zuletzt den Regie-Preis in der prestigeträchtigen Berlinale-Sektion «Encounters».
Ambitionierte Aarberger Anfänge
Wir treffen die Zürcher-Zwillinge an dem Ort, wo ihre Filmbegeisterung vor über 30 Jahren entfacht wurde: dem Kino Royal im Seeländer Städtchen Aarberg. Bereits nach wenigen Vorführungen war den cinephilen Brüdern klar: «Wir wollen gemeinsam Filmemacher werden!»
«In die Poesie-Alben haben wir unter dem Punkt Berufswunsch immer Regisseur geschrieben», erinnert sich Ramon Zürcher mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie taten dies, obwohl sie spürten, dass ihre Mitschüler und deren Eltern dies für völlig unrealistisch hielten. Dessen ungeachtet blieben sie ihren hochtrabenden Ambitionen treu.
«Irgendwie waren wir nie bodenständig genug, um diesen Traum loszulassen», staunt Ramon Zürcher und sein 19 Minuten jüngerer Bruder Silvan ergänzt: «Wir besassen sogar einen Ordner, in den wir jeden Schnipsel klebten, der irgendetwas mit Kino zu tun hatte. Das zeugt davon, wie früh wir unsere Leidenschaft ernst genommen haben.»
Bieler, Berner und Berliner Luft
Die Leidenschaft fürs Kino durchströmt ihr Werk bis heute, ist förmlich in jeder Pore ihrer Filme zu riechen. Verschoben hat sich für die Brüder dagegen der Lebensmittelpunkt. Heute wohnen die gebürtigen Aarberger primär in der deutschen Hauptstadt. Und atmen folglich deutlich mehr Berliner als Seeländer Luft.
Voneinander abzugrenzen begannen sich die eineiigen Zwillinge schon während der Bieler Gymi- und Berner Studienzeit: Während Silvan sein konzeptuelles Denken schärfte, folgte Ramon seiner musischen Veranlagung.
Dadurch bildeten sich spezifische Fähigkeiten heraus, die sich beim Filmen harmonisch ergänzen: Silvan übernimmt meist die Produzentenrolle, während sich Ramon stärker auf die Inszenierung konzentriert. Doch trotz professioneller Aufgabenverteilung: Die meisten kreativen Entscheidungen treffen sie nach wie vor zusammen.
Tierische Trilogie über menschliches Zusammenleben
Szenenwechsel: Nach kurzer Fahrt sind wir am Berner Vorpremierenort von «Das Mädchen und die Spinne» angekommen. Hier, im Kino CineClub, dringen wir zum Kern ihres filmischen Schaffens vor. Für die inhaltliche Fokussierung aufs menschliche Zusammenleben findet Silvan Zürcher buchstäblich einschneidende Worte:
«Unsere beiden bisherigen Filme sind Operationen am menschlichen Gefüge. In denen wir die Schattenseiten und aggressiven Potentiale sorgfältig heraussezieren.» Das klingt deutlich blutiger, als es die subtilen Studien letztlich sind. Nicht umsonst hat Ramon Zürcher «Das merkwürdige Kätzchen» einst als «Horrorfilm ohne Horror» beschrieben.
Analog dazu könnte man «Das Mädchen und die Spinne» als «Liebesfilm ohne Liebe» begreifen. Welches Paradox am besten zu ihrem bereits geplanten dritten Film passt, wollen die Brüder noch nicht preisgeben. Nur so viel sei verraten: Der Abschluss der Trilogie soll «Der Spatz im Kamin» heissen und den Rahmen eines Kammerspiels deutlich sprengen.
Kinostart: 13. Mai 2021