Mariam ist eine lebenslustige Studentin vom Lande, die in Tunis die Uni besucht. Für den Discoabend mit ihren Kolleginnen hat sie sich besonders herausgeputzt. Zunächst läuft alles bestens: Im geschlossenen Rahmen der Studentenparty kann sie kurz das enge Korsett konservativer Wertvorstellungen ablegen, dass ihr im Alltag die Luft zum Atmen nimmt.
Beherzt spricht sie den attraktiven Youssef an und geht mit ihm ins Freie. Doch kaum sind die beiden draussen, werden sie von Polizisten bedrängt. Unter dem Vorwand, die zwei Turteltauben im Dienste von Anstand und Sitte zu verhören, reissen sie Mariam und Youssef auseinander. Wenig später rennt die junge Frau weinend durch die Strassen.
Körperliche, seelische und strukturelle Gewalt
Obwohl es der Film nicht explizit zeigt, ist klar: Mariam wurde soeben im Streifenwagen von mehreren Polizisten vergewaltigt. Als Youssef zur Geschundenen zurückkehrt, ist ihm sofort klar, was zu tun ist: Anzeige erstatten.
Mariam zögert zunächst etwas. Nicht nur weil ihre drei Peiniger Cops waren. Sondern auch, weil ihr strenger Vater nichts vom ganzen Unglück erfahren soll. Doch tief drinnen weiss sie bereits, dass eine Anzeige das einzig Richtige ist.
Also macht sie sich gemeinsam mit Youssef auf den Weg. Was folgt, ist ein Spiessrutenlauf durch die diversen Institutionen eines mitleidlosen Apparats.
Bürokratie, Bigotterie und Böswilligkeit
Im öffentlichen Spital wird Mariam mitgeteilt, dass sie einen Polizeirapport vorweisen müsse, um ein ärztliches Attest zu bekommen. Doch einen solchen zu kriegen, ist praktisch unmöglich, da für die Beamten die Beschuldigung von Gesetzeshütern per se ein Affront darstellt.
Und in der Privatklinik will man sie nicht untersuchen, weil ihr die Identitätskarte fehlt, welche ihr die Uniformierten kurz vor der Vergewaltigung abgenommen haben.
Regisseurin Kaouther Ben Hania zeigt in schmerzhaft langen Plansequenzen die ganze Absurdität des Systems. Dieses versucht, Frauen an zwei essentiellen Dingen zu hindern: Gerechtigkeit einzufordern und Recht zu bekommen.
Hart an der Grenze zum Horrorfilm
Kaouther Ben Hania hat sich für ihren zweiten Spielfilm einiges einfallen lassen, um den patriarchalen Schrecken möglichst pointiert darzustellen.
Dass sie dafür die Grenzen der Glaubwürdigkeit, des Geschmacks und des Genres überschreitet, schadet ihrem dringlichen Anliegen allerdings mehr, als das es nützt.
So weicht die anfänglich unglaublich authentisch wirkende Studie gegen Ende immer mehr von ihrer realen Vorlage ab. Mit dem irritierenden Effekt, dass man sich als Zuschauer bisweilen in einem kafkaesken Horrorfilm wähnt.
Ein Kind des Arabischen Frühlings
Passend zu diesem Eindruck sagt Youssef an einer Stelle, dass er sich oft von Zombies umgeben fühlt. Kein Wunder, schliesslich benehmen sich praktisch alle Männer, denen er und Mariam begegnen, nicht wie mitfühlende Menschen, sondern triebhafte Monster.
Gesehen haben sollte man «La belle et la meute» trotzdem. Weil der Film die Intensität eines Thrillers besitzt. Weil seine Gesellschaftskritik an Aktualität kaum zu übertreffen ist. Und weil eine vom Staat geförderte, tunesische Produktion in dieser Form vor dem Arabischen Frühling noch undenkbar gewesen wäre.
Kinostart: 30.11.2107