Michael Moore kennt die Mittel filmischer Propaganda so gut wie seine Gegner – und scheut sich nicht davor, sie einzusetzen.
Von der pumpenden Musik bis zur schockierenden Behauptung, dass Donald Trump tatsächlich der letzte Präsident der USA sein könnte – und allenfalls ihr erster Diktator: Das malt Michael Moore über fast 130 Minuten hinweg aus. Er führt drastische Interviews und führt saftige Vergleiche an. Alles in seinem durchaus verzweifelten Versuch, so etwas wie Widerstand zu entfachen.
Business ist keine Demokratie
Moore führt in seiner üblichen hemdsärmeligen Art selber durch den Film, spricht mit Leuten und konfrontiert Politiker. Er glaube, die Amerikaner hätten mit Trump jemanden im Weissen Haus, der keinen Respekt zeige für das Gesetz, sagt Michael Moore in einem seiner unzähligen TV-Interviews zum Film.
Trump sei ein Mann, der die Demokratie nicht möge, so Moore. Was den Präsidenten allerdings nicht wirklich von anderen Millionären oder Wirtschaftsführern unterscheide. Denn deren Businesses seien schliesslich auch keine Demokratien, sagt der Filmemacher.
Und auch diese Wirtschaftsführer und Millionäre seien darauf aus, am Ende den Profit selber einzustreichen. So jemandem eine Demokratie zu überlassen, sei gefährlich, so Moore.
Die Crux mit den Wahlmännern
Moores Grundaussage in diesem Dokumentar- und Agitationsfilm: Trump ist nicht wirklich gewählt worden. Er habe nicht die Mehrheit der Wählerstimmen («popular vote») bekommen.
Trump sei nur Präsident, weil die USA mit dem Electoral College, dem Wahlmänner-Kollegium, ein politisches Relikt nicht rechtzeitig abgeschafft hätten. Nach dem Bürgerkrieg sei dieses System geschaffen worden, um die einstigen Sklavenhalter-Staaten zu besänftigen.
Diese Prämisse, dass die Mehrheit der US-Amerikaner eigentlich die Werte der Demokraten hochhalten, interpretiert Moore so: Es müsste darum auch möglich sein, dieses weitgehend verstummte und zu grossen Teilen längst wahlabstinente Volk wieder zu mobilisieren. Seit Bush senior hat kein Republikaner mehr die Mehrheit der Stimmen der Bevölkerung erhalten.
Flint und Parkland als Zäsur
Das illustriert Michael Moore anhand eines der angeblichen Vorbilder von Trump: Der republikanischen Gouverneur von Michigan. Dieser hatte Flint, die Heimatstadt des Regisseurs, mit seinem korrupten Trinkwasser-Deal beinahe ungestraft vergiftet.
Darauf formierte sich ziviler Widerstand in Flint. Zudem fanden nach dem Parkland-Schulmassaker im Februar landesweit Schüler- und Studentenproteste statt. Das interpretiert Michael Moore als erste Hoffnungszeichen in der Bevölkerung. Damit versucht er, eine zivile Bewegung gegen die Republikaner und für eine hohe Wahlbeteiligung zu stimulieren.
Kampf mit Mitteln der Gegner
Schliesslich beendet Michael Moore seinen Film mit einer drastischen Warnung, mit einem zweifelhaften, aber wirkungsvollen Mittel: Er legt den Ton einer Trump-Rede über Filmbilder einer Hitler-Rede.
Der Effekt ist phänomenal. Aber er hinterlässt den gleichen zwiespältigen Eindruck wie der ganze Film. Michael Moore kämpft weitgehend mit den propagandistischen Mitteln seiner Gegner.
Seine Antwort auf diesen Vorwurf könnte allerdings nicht klarer ausfallen: Diesem Gegner sei mit Argumenten allein nicht beizukommen und mit Anstand schon gar nicht. Er wolle jetzt einfach vor den Wahlen im November Millionen von Leuten mobilisieren.
Agitprop ohne «hidden Agenda»
Michael Moores «Fahrenheit 11/9» ist Agitprop. Es ist ein politisches Mobilisierungsvehikel, das alle Register zieht – von der Emotionalisierung über rationale Argumente bis zur möglicherweise berechtigten Panikmache.
Was den Film allerdings von klassischer Propaganda unterscheidet: Michael Moore ist mittendrin. Er hat keine «hidden Agenda». Er sagt, was er erreichen möchte, und auch, warum das so schwer, ja vielleicht unmöglich sein werde.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 10.10.2018, 6:50 Uhr.
Kinostart: 11.10.2018