«Wir sind nicht plötzlich Barcelona», raunzt ein Kriens-Verteidiger in der Halbzeit seine Mitspieler an: «Wir müssen laufen, laufen, laufen! Präsenz zeigen! Hey Mann, Körper hey!» Der Frust sitzt tief. Die Spieler kämpfen nicht nur gegen den Abstieg aus der Challenge League. Sondern auch um die richtige Einstellung.
«Hier muss der Scheissball hin!», ergänzt ein Stürmer die Pausenkritik: «Ist das so schwer?» Die rhetorische Frage sitzt. Und doch bildet sie bloss das Vorspiel zur beinharten Kabinenpredigt, die ihr Trainer gleich halten wird.
«Wo hat unser Gegner Schwächen?» will Bruno Berner von seinen Spielern wissen. Die Antwort ist allen klar. Daran anknüpfend, fährt der Coach fort: «In der Verteidigung! Wir müssen sie von den Seiten her angreifen! Haben wir das gemacht?» Offenbar nicht. Umso lauter fordert Berner darum eine spielerische Trendwende: «Dann macht es einfach!»
Mäuschen in der Garderobe
Den Pausenzwist festgehalten hat ein 45-Jähriger, der als Hobbyfussballer selbst drei Dekaden lang dem Leder nachgerannt war: Michele Cirigliano. Nun frönt er als Dokumentarfilmer seiner alten Leidenschaft.
Das Sujet seiner jüngsten Regiearbeit drängte sich ihm auf, weil er aus eigener Erfahrung wusste, wie viele Spiele in der Kabine entschieden werden. «Man könnte x Bücher mit dem füllen, was in einer Fussball-Garderobe vor dem Match, in der Pause und nach dem Spiel passiert», erzählt uns der Zürcher auf dem GC-Campus.
Deswegen wollte er einen Film drehen, der sich ganz auf die prickelnden psychologischen Prozesse abseits des Rasens konzentriert: «Eine Doku also, die Fussball als titelgebendes Thema hat, aber das Spiel nie zeigt.»
Querschnitt durch alle Schichten
Zum Blick hinter die Kulissen der weltweit populärsten Sportart passt auch der soziologisch breite Fokus von Michele Ciriglianos zweitem Kinofilm: «Football Inside» interessiert sich nicht nur für die wenigen, die mit Fussball ihre Brötchen verdienen. Auch in den Kabinen von Junioren (FC Blue Stars), Veteranen (FC Wettswil Bonstetten) und Damen (Grasshopper Club) wurde gedreht.
Pro Team mischte sich die vierköpfige Filmequipe jeweils an vier bis sechs Spieltagen ins Garderobengetümmel. Das ist relativ viel Präsenz an relativ wenigen Drehtagen. Trotzdem machen die Gefilmten nie den Eindruck, als ob sie die Kameras beeindrucken würden. Vielleicht, weil sie ihre Konzentration ganz aufs Gewinnen richten.
Alles andere wird ausgeblendet. Profis und Amateure unterscheiden sich in diesem Punkt viel weniger, als man erwarten würde. Das suggerieren zumindest die Bilder dieser kommentarlosen Studie, die mehr aufs Miterleben setzt als auf bahnbrechende Erkenntnisse.
Kein plumper «locker room talk»
Wer sich «Football Inside» anschaut, kann den Schweiss und die Tränen förmlich riechen. Dennoch entsteht nie das Gefühl, den Spielerinnen und Spielern in den engen Kabinen zu nahe auf den Leib zu rücken. «Locker room talk» und Voyeurismus sind dank respektvoller Herangehensweise hier kein Thema.
Statt auf den Sensationskick plakativer Aufnahmen setzt Cirigliano auf die Wirkungsmacht intimer Geständnisse. Nachhaltigen Eindruck hinterlässt vor allem die Offenheit, mit der Nationalspielerin Bettina Brülhart ihre Eignung als Spitzenfussballerin reflektiert:
«Vielleicht bin ich nicht diejenige, die auf dem Feld technisch brilliert. Ich bin weder schnell noch gross. Das sind eigentlich schlechte Voraussetzungen für eine Fussballerin. Doch etwas kann mir niemand nehmen: meine Mentalität.»
Kinostart: 6.5.2021